Morgen lautet der Titel einer neuen CD von Elsa Dreisig bei Erato, die im Juli 2019 in Paris aufgenommen wurde (0190295319489). Die an der Berliner Staatsoper engagierte Sopranistin will mit ihrem Programm, wie sie im Booklet vermerkt, eine „Reise durch die Jahreszeiten der Seele“ imaginieren. Richard Strauss´“Vier letzte Lieder“ stehen im Mittelpunkt, allerdings in ungewöhnlicher Anordnung. Die Sängerin und ihr Begleiter am Flügel Jonathan Ware haben sie aus ihrer gewohnten Aufstellung genommen und jedes einzelne Lied zwischen Kompositionen von Sergei Rachmaninov und Henri Duparc gestellt.
Passend begonnen wird die „Reise“ mit Duparcs „L´Invitation au voyage“, das in schönem Fluss und mit klarer, leuchtender Stimme erklingt. Die französischen Beiträge liegen der Sängerin mit französisch-dänischen Wurzeln besonders. In diesem Idiom fühlt sie sich spürbar heimisch – träumerisch und schwebend „Phidylé“, delikat und flirrend das „Chanson triste“. Dann folgt der „Frühling“ aus den „Vier letzten Liedern“ und hinterlässt keinen so günstigen Eindruck. Gerade bei diesem Zyklus liegt eine Fülle von Referenzaufnahmen vor, gegen die sich jede neue Interpretation behaupten muss. Die tiefe Lage zu Beginn wirkt verschwommen, die exponierte Höhe ertrotzt. Beim „September“ schlägt die dem Lied immanente Wehmut in Larmoyanz um, „Beim Schlafengehen“ wird getrübt durch manierierte Effekte und einen leiernden Ton. Auch „Im Abendrot“, in sehr gedehntem Tempo, was dem Stück den Fluss nimmt, ist erfüllt von wehleidigem Klang. In dieser Anthologie könnte man sogar von Strauss´ “Fünf letzten Liedern“ sprechen, denn die allerletzte Komposition des Meisters, „Malven“, erst 1985 uraufgeführt, ist hier gleichfalls zu hören. Im Gegensatz zur prägnanten Artikulation bei den mélodies ist die bei den deutschen Liedern verbesserungsbedürftig.
Auch die Rachmaninov-Titel sind einem Zyklus entnommen, den „Sechs Romanzen“, allerdings auch diese aus ihrer Ordnung gerissen. Hier geht die Interpretin nicht numerisch vor, beginnt mit Nr. 3, „Margaritki“, lässt danach Nr. 4, „Krysolov“, und Nr. 1, „Noch `ju v sadu“, folgen. Den Schluss bildet ein Block aus Nr. 2, „K nej“, Nr. 5, „Son“, und Nr. 6, „A-u!“. Es sind zumeist sentimentale Gesänge, die sich nur selten emphatisch aufschwingen. Im Charakter fällt Nr. 4 in seinem neckischen Übermut und dem koketten „Lalala“ heraus.
Das Titel gebende „Morgen!“ von Strauss steht am Schluss – gesungen mit ganz verhaltener Stimme und traumverloren. Jonathan Ware ist ein zuverlässiger Begleiter, der in den Vor- und Nachspielen eigene Akzente setzt und mit Duparcs „Aux étoiles“ auch ein Solo beisteuert. Bernd Hoppe