Tosti ohne Ende

 

Wer kennt nicht Ideale, Marechiare, A Vucchella oder Malia und kann sich, gesungen von Giuseppe Di Stefano oder José Carreras oder einer anderen schönen Tenorstimme, ihrem Zauber entziehen?! Aber wer weiß schon, dass es daneben noch weitere 350 Canzonen von eben diesem Francesco Paolo Tosti gibt, nicht weniger den Ohren schmeichelnd, wenn nur von der richtigen Stimme dargeboten? Sie alle sind auf 18 (achtzehn!) CDs veröffentlicht, jetzt allesamt in einer Kassette zugänglich und zu einem großen Teil nicht in italienischer, sondern in englischer und französischer Sprache.Song of a Life nennt sich das Unternehmen, das alle Romanzen des Komponisten für Gesang und Pianoforte in chronologischer Reihenfolge und mit unterschiedlichen Interpreten vereint und sich davon verspricht,  Tosti zum ihm gebührenden Ansehen zu verhelfen, frei von einem gönnerhaften, es handle sich bei ihm zwar um angenehme, aber zu angenehme, zu „leichte“, allzu gefällige zwar Salonmusik, aber durchaus nicht ernst zu nehmende Kunst. Salonneapolitaner in Anlehnung an den Salontiroler nannte man ihn oft abwertend, als wenn das Gefallenkönnen eins sei mit dem zu gefällig sein. Das Istituto Nazionale Tostiano di Ottona  ist verantwortlich für die Wieder- und Neuentdeckung des Komponisten, der zu Lebzeiten eine bedeutende Rolle auf europäischer Ebene spielte, denn er war nicht nur in Italien hoch angesehen undFreund aller bedeutender Komponisten seiner Zeit, sondern auch in England, wo er Musikerzieher im Königshaus war, so wie er in Rom die Prinzessin Margherita di Savoia unterrichtet hatte.

Die Lieder wurden im Rahmen einer Konzertreihe von zwanzig Sitzungen in Foligno und Ortona in den Jahren 2014 bis 2018 aufgeführt,  die Interpreten sind Teilnehmer  eines internationalen Concorso  della Romanza da Salotto, einige von ihnen haben eine bedeutende Karriere als Opernsänger gemacht. Die Aufnahmen zu den CDs fanden im Teatro Clitunno in Trevi statt.

Die beiden ersten CDs zeigen wie in er Folge auch fast alle anderen junge, frische Stimmen, einmal die des Tenors Nunzio Frazzini, in der Höhe begrenzt, aber mit schöner Mittellage, und den Sopran Romina Casucci , zart und melancholieumflort und damit sehr passen für das Repertoire. Auf CD 3 erfreut Maura Menghini mit einer dunkel getönten, geschmeidigen Stimme, während der Tenor David Sorgiu weich bis verhuscht klingt. Auf CD 4 kann Valentina Mastrangelo spröde bis frisch neue Akzente setzen, Bariton Denver Martin-Smith ist empfindsam in „Non t’amo più“, kann aber auch dröge und dumpf in den französischen Liedern sein. Prominent wird es auf CD 5 mit Monica Bacelli und Mark Milhofer, deren Stimmen sich auch im Duett vereinen, sie süß flötend und er charmant, nicht umsonst mit einer bedeutenden Karriere als Rossinisänger alle spalle. Obwohl englischer Herkunft, klingt MIlhofer wie ein italienischer Tenor, sie verkörpert mädchenhafte Anmut aufs schönste. Dies alles gilt auch für CD 6, die beide gestalten. Auf dieser CD befindet sich auch Marechiare, gesungen mit extremer Leichtigkeit, wie dahingetupft.

Der Sopran Benedetta Torre und der Bariton Eugene Villanueva gestalten CD 7, sie dunkel getönt bis weinerlich, er  leider auch bei Malia dumpf und mit verwaschener Diktion. Dieses ist eine der schwächeren CDs der Reihe. Wie eine Opernarie singt der Sopran Ridonami la calma. Ein Star ist inzwischen Desirée Rancatore, die fast ausschließlich die CD 8 gestaltet, mit schöner Melancholie in der Stimme leichter Emission, manchmal nur angenehm dahinplätschernd, aber in Dimmi fanciulla sich an Empfindsamkeit mit dem Tenor David Sotgui überbietend. Weiter geht es mit CD 9 und damit zum ersten Mal mit einer Bassstimme, der von Piotr Lempa, ungewohnt, aber von schöner Farbe und angemessen schlank geführt. Gut ergänzt er sich mit dem sanften Mezzosopran von Jurgita Adamonyté. CD 10 vereint den Sopran von Valentina Coladonato mit dem Tenor von Aldo Di Toro, er mit feinem Falsettone, ihre Stimme leicht  und biegsam. An Farbigkeit der Stimme ist der Sopran überlegen, während der Tenor in seinen Ausdrucksmöglichkeiten doch recht beschränkt bleibt.  Delphine Da Pontello ist der Sopran auf CS 11, schmal und spitz in der Höhe, aus Strana ein einfühlsames Drama machend, während Bariton Marco Severin sich zu sanfter Klage fähig zeigt. Wer in Italien Operette besuchte, kam kaum an dem Triester Dauer-.Buffopaar Daniela Mazzucato und dem Tenor Max René Cossotto vorbei. Seine Stimme klingt grell und durchdringend, in der Höhe offen und sehr hell, sie hat ein feines Soubrettenstimmchen, das Munterkeit und Eleganz verkörpert. CD 13 schließlich vereint den Sopran Marika Spadafino mit dem Tenor Alessandro Luciano, sie besticht surch delikate Geschmeidigkeit, er durch hörbare Schulung an Belcantopartien.  Es wechselnde, aber stets hilfreiche Partner am Pianoforte. Die restlichen fünf CDs wurden bereits besprochen, was unter dem Stichwort Tosti zu finden ist (Brilliant CDs 95530). Ingrid Wanja

 

Und damit nicht genug! Dem strengen Opernfreund gilt er als zu verachtender Salon-Neapolitaner, und doch kann man sich dem Zauber einer seiner Romanzen oder Canzonen, sei es „‘A Vucchella“ oder „Ideale“,  gar gesungen von einem Giuseppe Di Stefano oder José Carreras, kaum entziehen. Die Rede ist von Francesco Paolo Tosti, zu dessen hundertstem Todestag ein riesiges Projekt, nämlich die Aufzeichnung seiner sämtlichen rund 4000 Werke für Stimme und Klavier gestartet wurde. Inzwischen liegt die vierte der jeweils fünf CDs umfassenden Ausgabe vor, jede von renommierten italienischen Sängern interpretiert, wie die früheren drei meistens chronologisch geordnet und  vor allem die Jahre 1903 bis 1917 umfassend. Dabei handelt es sich nicht nur um italienische, wenn Bearbeitung von Volksliedern neben neapolitanischen solche aus den Abruzzen betreffend, sondern auch um englische und französische Texte, denn Tosti war nicht nur Musiklehrer der italienischen Königin Margherita, sondern lebte auch lange Zeit in London und erfreute sich der Gunst des dortigen Königshofes unter Königin Victoria.

Seine hier bei Brilliant versammelten italienischen Lieder dieser Epoche fußen zu einem großen Teil auf Gedichten von Gabriele d’Annunzio, ganz gewiss politisch eine fragwürdige Figur der italienischen Geschichte mit seinem Flug über Wien, dem Abenteuer von Fiume, heute Rijeka, und der Hass-Liebe gegenüber Mussolini. Dass er in Italien heute als Dichter weitgehend unumstritten ist, hat er wohl auch seinem frühen Todesdatum, 1938, zu verdanken. Jedenfalls ist sein Anwesen Vittoriale mit riesigem Grabmal am westlichen Gardasee-Ufer in Gardone ein beliebtes Ausflugsziel.

Der Zusammenklang von hocherotischen bis schwülstigen, aber oft auch erstaunlich sensiblen Texten mit der gefälligen, eingängigen Musik passt besonders gut zur Stimme des Mezzosoprans Monica Bacelli, die die letzte der fünf CDs besungen hat. Zwischen zärtlicher Mütterlichkeit und vokaler Raffinesse schwankt ihr „Ninna nanna“, ein raffinierstes Farbenspiel wird für „A Tale oft he Twilight“ eingesetzt, durch Interpretationen wie die ihren werden die Stärken der Kompositionen betont, eventuelle Schwächen eliminiert. Raffinierte Rubati kennzeichnen die Interpretation von „Tormento“, viele einander widersprechende Gefühle werden in „Non basta più“ ausgedrückt. Zarte Melancholie ist die Stärke von „Parole del ricordo mio“, deliziös verhauchend. Jedem Titel wird seine ganz eigene Farbe verliehen, dabei bleibt die Stimme jedoch immer schön gerundet. Mit dem Poemetto „La Sera“, sehr männlich, da ebenfalls von d’Annunzio stammend, macht sie die Tragödie eines durch und durch weiblichen Wesens hörbar, als wolle sie der zeitweiligen Geliebten des Dichters, der Schauspielerin Eleonora Duse, eine Stimme verleihen. Die Begleitung durch Isabella Crisante ist der Kunst der Sängerin ebenbürtig.

Die erste CD lässt uns die frische, mädchenhafte Sopranstimme von Maria Bagalà hören, die durch ihre Leichtigkeit und die, wenn angemessen, elegische Zartheit erfreut. Die Sängerin kann aber auch dramatisch ausholen, wie ihr Einsatz in „Amate!“ beweist.

Der Bariton John Viscardi erfreut den Hörer durch eine perfekte Diktion, durch eine kernig-markante Stimme, die nicht zuletzt durch ihre Unmittelbarkeit, die Fähigkeit zur Kommunikation überzeugt. Dass sie auch geschmeidig und schmeichelnd wirken kann, beweist sie mit  „Si je ne t’aimais pas“, die populäre  „Ultima Canzone“ lässt mit einem beschwörenden „Nina, rammenta“ aufhorchen. Eine raffinierte Crescendo-Fermate ist bemerkenswert im „Voi dormite Signora“. Glenn Morton ist der Pianist dieser CD.

Donata D’Annunzio Lombardi bestreitet gemeinsam mit der Pianistin Isabella Crisante die zweite CD. Sie hat eine ausgesprochene Puccini-Stimme, singt die weitgehend auf Texte von Riccardo Mazzola komponierten Canzonen agogikreich, mit raffinierten Pianissimi, aber auch altmodischen Portamenti werkgerecht, würde nicht das Verschlucken der Konsonanten den Gesamteindruck stören. Das Prätenziöse des Vortrags passt zu vielem auf der CD, weniger zum populären „A Vucchella“. „Canta la serenata“ erfreut sich eines frischeren Klangs, einiges andere leidet unter der verhuschten Tongebung.

Fast ausschließlich aus dem Jahr 1911 stammen die Stücke, die vom Mezzosopran Giuseppina Piunti und dem Tenor Riccardo Della Sciucca vorgetragen werden. Eine reife, füllige, substanzreiche Stimme wie die ihre passt sehr gut zur Musik, auch das geschmeidige, raffinierte Spiel mit den Tönen, der tragische Unterton für „Non mentire“ oder „Se tu canti“. Eine sehr empfindsame Seite zeigt die Sängerin in den „Due piccoli notturni“, am Schluss der CD hört man ein zauberhaftes Duett mit „Passing Shadow“.

Eigentlich wie ein Bariton mit guter Höhe hört sich Riccardo Della Sciucca an, der eine gut tragende, mit einem warmen Timbre ausgestattete Stimme besitzt. Er singt auch in Französisch und Englisch perfekt idiomatisch, vermag in „Luna d’Estate“ Beschwingtheit und Lebensfreude zu vermitteln und zeigt in „Baciami“ auch tenorales Strahlen, ohne dass die Dunkelheit des Timbres verloren geht.  Hier nimmt die Stimme im letzten „Baciami“ auch mal opernhafte Ausmaße an.

Fest etabliert im Operngeschäft wie Monica Bacellii st auch Cinzia Forte. Sie teilt sich mit dem Bariton  Giovanni Meoni die vierte CD, begleitet von Marco Scolastra. Die Stücke wurden zwischen  1890 und 1916 komponiert, die chronologische Anordnung also durchbrochen. Der Sopran scheint in den letzten Jahren an Fülle und Süße gewonnen zu haben, hat einen schönen Glockenton und wird manchmal, so in „More and more“, recht vibratoreich eingesetzt. Anmutig leicht klingt hingegen  „Maggio è ritornato“, eine schöne Klage  ist „Charitas!“. Deliziös schließlich wird  „While we are young“ gesungen. Im Duett  „Napoli“ überbieten die beiden Sänger einander an der Verbreitung guter Laune.

Einen urgesunden Bariton setzt Giovanni Meoni für  „O dolce meraviglia!“ ein, klingt volkstümlich, entschlossen und temperamentvoll. Die sehr gute Diktion kommt beiden Sprachen zugute, echte Empfindung lässt sich im „piangi“ von  „Perdutamente!“ vernehmen.

Wer diese CDs hört, wird sich schnell von dem Vorurteil verabschieden, dass leicht gleich leichtgewichtig, einfach schön zwangsläufig kitschig sein muss. Eine Fortsetzung des Unternehmens „The Song of a Life“ kann man sich nur wünschen (Brilliant Classics 95499). Ingrid Wanja