Oh beaux Pays…

 

Diana Damrau schreibt im Booklet der Erato-Ausgabe: Meyerbeer – ein wahrhaftiger Europäer. Warum ein reines Meyerbeer-Album? Während meines Studiums in Würzburg wurde ich vom dortigen Universitätsorchester eingeladen, Meyerbeers Kantate Gli amori di Teolinda für Sopran, Klarinette und Orchester zu singen. Bis dato kannte ich nur Dinorahs Arie „Ombre légère“, ein Muss für jeden Koloratursopran. Dieses hochvirtuose Duo mit der Klarinette, noch dazu auf Italienisch und im italienischen Stil geschrieben, hat mich auf den Komponisten Meyerbeer neugierig gemacht. So tauchte ich ein in die Welt Meyerbeers und war begeistert von der Vielfältigkeit seines Könnens, was die Behandlung der Stimme angeht, seine Orchesterfarben, seinen theatralischen Instinkt, den kraftvollen und facettenreichen Ausdruck der Gefühle, seine herrlichen Melodien und nicht zuletzt seine Fähigkeit, genau den „Nationalton und -stil“ seiner Kompositionen zu treffen. Vergleicht man seine italienischen, deutschen und französischen Werke, meint man nicht nur einen, sondern drei unterschiedliche Komponisten zu hören. Daraus entstand die Idee, diese verschiedenen Stile erstmalig in einem Album gegenüberzustellen und diesen einzigartigen „europäischen“ Künstler mit all seinen Facetten zu zeigen, abgesehen von seinen unumgänglichen französischen Werken, deren Leichtigkeit, Sinnlichkeit, Schönheit und Eleganz ihresgleichen suchen.  

Nachstehend die Rezension zu ihrem Konzert an der Deutschen Oper Berlin – nach Paris und andernorts in Deutschland – mit eben diesem Meyerbeer-Programm und die Kritik zur neuen CD bei Erato.

 

Meyerbeer-Konzert mit Diana Damrau an der Deutschen Oper Berlin/ Foto Bettina Stoess

Diana Damrau in der DOB: Das Programm ihrer neuen Meyerbeer-CD stellt Diana Damrau (Foto Jürgen Frank/ Erato)auch in Live-Konzerten im Rahmen einer Deutschland-Tournee vor, für deren Start am 19. 5. 2017 die Sängerin die Deutsche Oper Berlin gewählt hatte. Stars treten seit einiger Zeit in den für sie kreierten Designerroben auf (welche auch die Cover der CDs schmücken) – Renée Fleming in Gianfranco Ferré oder Joyce DiDonato in den spektakulären Entwürfen von Vivienne Westwood –, doch die deutsche Sopranistin wählte erst im zweiten Teil des Abends das elegante, schwarz-glitzernde Escada-Kleid von ihrer Platte und verzichtete auf den Pelzmantel gänzlich, was bei den hochsommerlichen Temperaturen dieses Tages durchaus verständlich war. Stimmliche Schonung legte sich die Solistin allerdings nicht auf, sang insgesamt sieben große Arien, welche die stilistische Vielfalt des Komponisten eindrucksvoll widerspiegelten. Als Einstieg wählte sie überraschend eine fachfremde Partie – die Kavatine des Pagen Urbain aus den Huguenots –, welche auch nicht im Programm ihrer CD enthalten ist. Hier konnte sie mit kokettem Vortrag punkten und auf die nachgedunkelte Mittellage ihrer Stimme aufmerksam machen. Schon beim nächsten Titel, der berühmten Schattenarie aus Dinorah, musste sie in höhere Regionen aufsteigen und damit in ihr angestammtes Repertoire zurückkehren. Plastisch und suggestiv gestaltete sie das Frage- und Antwortspiel mit dem Schatten, fand dabei zarte, delikate Töne und illustrierte ihren Gesang mit gekonnten tänzerischen Einlagen, was diese Nummer besonders wirkungsvoll machte. Große lyrische Substanz erfordert die Kavatine der Isabelle, „Robert, toi que j’aime“, aus Robert le diable, welche die Sopranistin mit schmerzlicher Inbrunst begann, am Ende gewaltig steigerte und noch mit einem deliziösen Triller schmückte.

Zur französischen Sprache kamen im zweiten Teil des Abends noch die italienische und deutsche hinzu, und mit der Arie der Emma „Sulla rupe triste“ aus Emma di Resburgo und der Kavatine der Therese, „Lebe wohl, geliebte Schwester“, aus Ein Feldlager in Schlesien hörte man zudem zwei gänzlich unbekannte Stücke. In ersterem überraschte die Damrau mit einer träumerischen, raffiniert verschleierten Stimme in der Einleitung, um danach mit reichlich Zierwerk zu glänzen. Im deutschen Beitrag gab es durch die Beklommenheit im Ausdruck eine kontrastierende Stimmung. Den Schlusspunkt setzte die ausgedehnte Szene der Marguerite de Valois, „O beau pays“ aus den Huguenots, welche die Interpretin an die Grenze der stimmlichen Möglichkeiten führte, die aber dennoch das reiche Farbspektrum, die Süße und den Duft ihres Soprans ins schönste Licht rückte. Mit der Zugabe, der Arie der Inès „Adieu mon breau rivage“ aus der Africaine, krönte die Sängerin ihren Berliner Auftritt mit traumhaft gesponnenen Tönen bis in höchste Sphären.

Großen Anteil am Erfolg des Konzertes hatte der Dirigent Francesco Ivan Ciampa, der mit dem Orchester der Deutschen Oper Berlin Werke von Meyerbeer und dessen Zeitgenossen servierte, darunter mit Louis Joseph Ferdinand Hérolds Zampa auch eine veritable Rarität. Der straffe Zugriff des Italieners, sein Temperament und das Gespür für spannungsreich entwickelte accelerando-Effekte machten große Wirkung bei den Ouvertüren zu Rossinis Semiramide und Meyerbeers Dinorah, deren flirrende, zauberische Atmosphäre in der Einleitung er sehr stimmungsvoll formte und die Turbulenzen am Schluss spannend herausarbeitete. Nur bei der Ouvertüre zu Wagners Rienzi geriet der Schluss etwas lärmend, doch Ciampas Sinn für Pathos und Grandeur waren auch hier zu spüren. Der Abend weckte große Vorfreude auf Diana Damraus Auftritte an der Deutschen Oper in der nächsten Saison. Bernd Hoppe

 

Ihre erste Begegnung mit Meyerbeer hatte Diana Damrau noch als Studentin in Würzburg, als sie vom Universitätsorchester der Stadt eingeladen wurde, in einem Konzert die szenische Kantate für Sopran, Klarinette und Orchester „Gli amori di Teolinda“ zu singen. 2002 trat sie im Rahmen ihres Engagements an der Oper Frankfurt in einer szenischen Aufführung der Huguenots als Marguerite de Valois auf – einer anspruchsvollen Koloraturpartie, welcher Sopranlegenden dieses Fachs wie Sutherland oder Sills ihren Stempel aufgedrückt und damit die Messlatte für heutige Interpretinnen hoch gesetzt haben. Diese Arie findet sich natürlich auch auf Diana Damraus neuester CD bei Erato mit dem Titel Grand Opéra, welche die Sopranistin ganz dem deutsch-französischen Komponisten gewidmet hat (0190295848996). Sie entstand in Zusammenarbeit mit dem Palazzo Bru Zane in Rom, wo die Sängerin 2014 anlässlich des 150. Todestages des Komponisten bereits ein Konzert mit diesem Programm gegeben hatte. Die Ausgabe ist prachtvoll ausgestattet mit glamourösen Fotos der Interpretin in spektakulärer Robe, zeitgenössischen Abbildungen des Komponisten und Szenen seiner Opern sowie den Texten der Arien in drei Sprachen.

Die Kontrahentin der Rosina Stoltz an der Pariser Oper: Julie Dorus-Gras, hier als Meyerbeers Marguerite in den „Huguénots“, setzte das Beispiel für die hohen, koloraturfreudigen Meyerbeer-Soprane/HeiB

Das Programm beginnt mit der Szene der Berthe, „Mon coeur s’élance“ aus Le prophète, deren lebhaft-beschwingte Einleitung das Orchestre de l’Opéra de Lyon unter Emmanuel Villaune mit Esprit serviert und der Solistin ein idealer Partner ist. Der Sopran klingt deliziös und duftig, perlend in den Koloraturen, Der Vortrag ist so charmant wie kokett. In der folgenden Romanze  der Isabelle „Robert, toi que j’aime“ aus Robert le diable (mit Charles Workman) eine Partie, welche die Sängerin vor einigen Jahren wegen ihrer Schwangerschaft an der Royal Opera London absagen musste – kommen ihre lyrischen Qualitäten in schwärmerisch-sehnsuchtsvollem Klang zur Geltung. Allerdings hört man am Ende der Szene in der exponierten Lage Verhärtungen des Tones, was auch bei weiteren Titeln gelegentlich zu bemerken ist.

Zwei Weltersteinspielungen finden sich unter den elf Nummern – Irenes „Nun in der Dämm’rung Stille“ aus Alimelik, oder die beiden Kalifen und Thereses „Oh Schwester, find’ ich dich!/Lebe wohl, geliebte Schwester“ aus Ein Feldlager in Schlesien. Erstere stammt aus dem Frühwerk von 1814 und ist im Charakter ganz dem deutschen Singspiel verpflichtet. Entsprechend munter und beherzt klingt die Sängerin in dieser Szene. Vom Feldlager, das dann zu Vielka umgearbeitet wurde, existiert die Rundfunkaufnahme einer konzertanten Aufführung aus Berlin von 1984, die eben vom Hamburger Archiv für Gesangskunst als CD herausgegeben wurde. Aber hier ist mit der emotional aufgewühlten Szene  „Lebe wohl, geliebte Schwester“, bei der die Mezzosopranistin Kate Aldrich mitwirkt, ein Ausschnitt aus der Originalfassung zu hören – insofern ist die Bezeichnung Ersteinspielung gerechtfertigt.

Zu Meyerbeers „Feldlager in Schlesien“: Jenny Lind als Vielka/ Wiki

Die CD bietet eine gelungene Mischung aus bekannten Schlagern, wie Dinorahs „Ombre légère“ aus Le pardon de Ploërmel, und beinahe unbekannten Nummern wie Emmas „Ah questo bacio“ aus Emma die Resburgo oder Palmides „Con qual gioia“ aus Il crociato in Egitto. Letzteres Beispiel steht für  eine mehrteilige italienische Szene, eine grande scena in Rossini-Manier, in der die Interpretin ihr Gestaltungsvermögen und ihre Verzierungskunst demonstrieren kann, assistiert vom Bassisten Laurent Naouri und dem präsenten Choeur de l’Opéra de Lyon. In Dinorahs berühmter Schattenarie, bei der es mit der Einspielung von Maria Callas eine Referenzaufnahme gibt,  besticht einmal mehr Damraus Virtuosität, welche die Koloraturen tänzeln und den Dialog der Figur mit ihrem Schatten als Wechselspiel zwischen der Stimme und ihrem  piano-Echo effektvoll aufscheinen lässt. Die große Szene der Marguerite profitiert vom raffinierten Farbenspiel der Stimme in der elegischen Einleitung, dem kapriziösen Mittelteil und dem bravourösen Schluss mit seinem anspruchsvollen Zierwerk von Trillern, Ornamenten und stratosphärischen Ausflügen. Zirzensische Gesangsakrobatik erfordert Catherines Solo aus dem Ètoile du Nord, denn nach der melancholischen Einleitung zwitschert der Sopran im Wettstreit mit zwei Flöten in brillanten staccati und Vokalisen, Lucias Wahnsinnsszene vergleichbar. An Donizettis Oper erinnert auch das Harfen-Vorspiel zu Emmas gefühlvoller Kavatine aus dem Frühwerk (1819) Emma di Resburgo.

In Meyerbeers „Dinorah“: Marie Cabel war die erste Titelrollensängerin/Opera Rara

Letzter Titel des Programms ist eine weitere Szene der Inès aus der Africaine („Adieu mon doux rivage“ aus dem 1. Akt), nachdem es vorher bereits einen Ausschnitt aus dem 5. Akt der Oper („Fleurs novelles“) gegeben hatte. Beide sind Zeugnisse für Meyerbeers reiche lyrische Eingebungen – man hört sie wehmütig und sehnsuchtsvoll vorgetragen, mit sublimen Nuancen und Valeurs.

Dass die Damrau hier in drei Sprachen singt, entspricht der Vielseitigkeit des Komponisten, den sie im Booklet als „wahrhaftigen Europäer“ betitelt. In seinem Oeuvre vereinen sich die Traditionen des deutschen Singspiels und des italienischen Belcanto sowie die beiden Stilrichtungen der französischen opéra comique und grand opéra. Die deutsche Sopranistin erweist sich als versiert in all diesen Genres und balanciert gekonnt zwischen forte chanteuse und chanteuse légère à roulade. Mit ihrer verdienstvollen Initiative trägt sie hoffentlich dazu bei, dem Komponisten auch auf unseren Bühnen endlich den ihm gebührenden Platz einzuräumen (Foto oben: Diana Damrau/ Foto Jürgen Frank/ Erato). Bernd Hoppe