Toujours Offenbach

 

Auf der Wäscheleine: Offenbachs Die schöne Lurette und die Einakter Pomme d’Api und Sur un volcan bei Relief und cpo: Eine gewisse Begeisterungsfähigkeit für alte Hörspiele ist von Vorteil, greift man zu der im Dezember 1958 im Sender Leipzig entstandenen und am 8. Februar des folgenden Jahres vom Rundfunk der DDR gesendeten Gesamtaufnahme von Offenbachs dreiaktiger Opéra-comique Belle Lurette, die selbstverständlich in deutscher Sprache als Die schöne Lurette erklang (Relief 2 CD CR 2005). Man hat sich damit abzufinden und gewöhnt sich rasch daran, dass ein Erzähler durch die Geschichte um die Wäscherin Lurette führt, die der Herzog von Marly einzig heiratet, um den Wünschen seiner Tante zu folgen. Aus dem praktischen Arrangement erwächst dank Lurettes Verführungskunst echte Liebe. Auch an den etwas wuseligen, aufgescheuchten Ton der Ensembleszenen, die pralles Leben imaginieren sollen, gewöhnt man sich, erinnern sie in ihrer Betulichkeit doch auch an eine Operettentradition, wie ich sie in der Nachwendzeit noch wenige Male – auch im Fall von Offenbach Madame Favart – im Metropoltheater erlebte. Das ist nicht unrecht, und die Mono-Aufnahme besitzt hinreichend Klarheit und Präsenz, um immer wieder aufhorchen zu lassen. Die Sänger, die Matthias Käther in seinem die Entstehungsumstände genau beleuchtenden Text vorstellt, sind mir alle unbekannt. Auch der von Käther als Hofmeister Malicorne hervorgehobene Lutz Jahoda, der mit Der Wunschbriefkasten ein beliebter DDR-Moderator werden sollte. Hella Jansen und Frank Folker als Lurette und Herzog von Marly kamen vom Metropoltheater bzw. von der Komischen Oper, beide treffen einen rechten, vielfach charmanten prickelnden Operettenton, den ich eher mit Der Bettelstudent als mit Offenbach verbinden würde.

Das fällt umso mehr auf, da auf der zweiten CD Ausschnitte aus der französischen Rundfunkproduktion von 1965 angehängt sind, die unter Roger Albin mit so bewährten Kräften wie Lina Dachary, Michel Lamel, Jospeh Peyron entstanden. Wenngleich die Franzosen hier die Nase vorn haben, gelingt es dem als Gast aus Wien kommenden Gottfried Kassowitz in Leipzig musikalische Pointen zu setzen, mit Genus dürfte er sich der bekannten Nummer „Ce fut a Londres“ angenommen haben, wo die Schöne blaue Donau in die Seine schwappt und Malicorne und Marceline (Jahoda und Jola Siegl) walzend von der Liebe der Eltern erzählen, „Da war die Donau, die Donau so blau“. Malicornes Couplet de la statistique, Lurettes Rondos, ihre Romanze und Lied, das Couplet des Sängers Campistrel (Wilhelm Klemm), Marcelines Couplet vom Souper usw. – das sind so sauber aneiandergereiht Stücke wie Lurettes Wäsche auf der Wäscheleine.

Wie aber kam die Wäscherin nach Leipzig? Matthias Käther beschreibt Leipzig als Ausgangspunkt der frühen „Offenbach-Renaissance der DDR“. „Unter der Federführung von Operndirektor Heinrich Voigt und Bearbeiter Walter Zimmer liefen hier Raritäten wie Die Prinzessin von Trapezunt, Pariser Parfüm und Madame Favart“. An der von Leo Delibes vollendeten und wenige Wochen nach Offenbachs Tod am 30.10.1880 am Théâtre de la Renaissance uraufgeführten Belle Lurette interessierte möglicherweise das „proletarische“ Milieu der Wäscherinnen und die rebellisch selbstbewusste Titelheldin. Auf jeden Fall kam es zu einer kleinen Lurette-Serie: 1959 entstand ein mit Ingeborg Wengler, Irmgard Arnold und Martin Ritzmann prominent besetzter Querschnitt (unter Ernst Sasse), 1960 folgte der erfolgreichste Operettenfilm der DDR.

 

Das rotbackige Äpfelchen, Pomme d’api, gehört zu den rosigsten Früchtchen unter Offenbachs Einaktern. Man kennt es von der EMI-Aufnahme unter Manuel Rosenthal, der jetzt eine Neuaufnahme unter Michael Alexander Willens, bei der die Kölner Akademie den Segen von Offenbachs Geburtsstadt gibt, dicht auf der Spur ist. Die Handlung und das Hin und Her um den Rentier Rebastens, seinen Neffen Gustave und dessen Geliebte ist nebensächlich. Wie im Don Pasquale schleicht sich die Geliebte als neue Haushälterin Cathérine bei Rabastens ein, was zu dem genau in der Mitte der mit acht Nummern bestückten Partitur stehenden Glanzstück führt, dem Trio du grill „Va donc, va donc chercher le grill“. Magali Léger, Florian Laconi, Marc Barrad machen das ausgezeichnet. Ohne aufregende Stimmen, doch treffsicher und behände, mit einer federleicht hurtigen Wort-Ton-Präzision, die rasch gefangen. nimmt. Beim zweiten Stück der cpo-Aufnahme (555 268-2) kann auch Heiko Schon, der in „Jacques Offenbach – Meister des Vergnügens“ alle Inhalte kurz resümiert, nicht weiterhelfen. Doch Jean-Christophe Keck liefert im Beiheft zu Sur un volcan eingehende Ergebnisse seiner Forschungsarbeit nach und identifiziert Offenbach als Bearbeiter und Instrumentator der erst kürzlich wiederentdeckten und am 29. Dezember 1855 nur ein einiges Mal aufgeführten Comédie à ariettes in einem Akt, in der zwei französische Offiziere, „Nous sommes à Dublin à 1806“, sozusagen auf einem Pulverfass sitzen und um eine Schauspielerin rivalisieren: „Er brachte Ordnung in die Partitur, die eigentlich aus der Feder Ernest L’ Épines stammt“. Sieben Nummern, gerade mal 30 Minuten lang, darunter kurze Couplets, ein Duett, ein Terzett und ein Finale sind die Ausbeute.   Rolf Fath

 

Im Jubiläumsjahr 2019 eine ganze CD mit Koloraturarien des Operettenerfinders Jaques Offenbach? Das überrascht, denn Offenbachs Musik bringt man nicht unbedingt mit großer vokaler Verzierungskunst in Verbindung. Doch immerhin hat Offenbach mehr als 100 Bühnenwerke geschrieben (von denen – wie in operalounge.de nachzulesen, in diesem wie im vergangenen Jahr auch manche selten gespielte nun das Licht der Bühnen erblickten – man denke nur an die Fées du Rhin in Tours und Biel oder an die Prinzessin von Trapezunt in Hildesheim, König Karotte in Hannover oder Barouf in Paris/ G. H.). Und wenn man da ein wenig sucht, kommt doch eine stattliche Anzahl solcher schwierigen Arien für Sopran zusammen. Das Label Alpha Classics hat in seiner Hommage zuweilen tief in die Raritätenkiste gegriffen. Gleich drei Arien einer wirklich emanzipierten Frauenrolle finden sich hier: die der Dompteurin Olga aus der Operette Boule de Neige (Schneeball).

Manche von Offenbachs legendären Interpretinnen waren nicht gerade berühmt für ihre wendige Stimme und ihre sicheren Höhen. Seine berühmteste Darstellerin, Hortense Schneider, die erste Belle Hélène und die erste Gerolstein, konnte so etwas nicht (die Wiener Konkurrentin Marie Geistinger schon).

Aber man darf nicht vergessen, dass Offenbach nicht weniger als sieben richtige Opern geschrieben hat, für die große Sängerinnen zur Verfügung standen. Das ambitionierte Opernrepertoire findet sich auch auf dem Album wieder. Auffallend viel Opernmusik ist hier zu hören aus Kakadu, Robinson Crusoe (nicht zu vergessen die hinreißende Aufnahme bei Opera Rara/G. H.), Fantasio und natürlich Les Contes d´Hoffmann. Und im Grunde ist auch Boule de Neige eine Oper – die Musik dafür wurde aus dem Schiffbruch der unglücklichen Opéra-comique Barkouf gerettet.

Liebenswerte Einfälle: Doch Offenbach schafft es auch immer wieder, sehr anspruchsvolle Musik, sowohl kompositorisch wie auch technisch, in seine kleineren Operetten zu schmuggeln. Er findet dann immer eine gute dramaturgische Begründung für die Koloratur und die Extravaganz in der Stimme. Hier auf dem Album sind schöne Beispiele zu hören: In der Voyage á la Lune etwa erzählt die kapriziöse Mond-Prinzessin Fantasia, wie nervös sie ist und wie die geringste Kleinigkeit sie in Wut bringt, und da passt natürlich das Gezwitscher wunderbar. In den Bavards lässt Offenbach eine sehr klatschsüchtige Frau verächtlich von einer Frau erzählen. die sehr klatschsüchtig ist. Für solche Einfälle muss man Offenbach einfach lieben.

Jodie Devos auch? Ja! Man merkt schon: Da wo ihre Spitzentöne sind, da ist auch die Raumdecke, und sie singt zuweilen in Räumen mit nicht gar so hohen Decken. Weniger blumig gesagt: Die eigentliche Auszierung, der Spitzenton, nimmt nicht selten eine scharfkantige Gestalt an. Manches, was hier zu hören ist, haben Natalie Dessay oder Sumi Jo eleganter und unangestrengter gesungen. Doch nicht unbedingt charmanter. Denn auf der Haben-Seite weiß Jodie Devos als Belgierin, was sie da singt. Sie hat dem Text ein hohes Maß an Aufmerksamkeit geschenkt, ihre Diktion ist traumhaft, und insofern ist sie vielleicht stilistisch dichter am Offenbach dran als so manche Superdiva.

Französischer Klang: Der kleine Knacks, das gewisse Quäntchen Unvollkommenheit – gehört das nicht sowieso zu einer authentischen Offenbach-Interpretation? Will man das so hören wie beim Kollegen Meyerbeer? Ich jedenfalls nicht. Und deswegen mag ich dieses Album trotz kleiner technischer Mängel sehr gern – mal ganz abgesehen davon, dass Laurent Campellone hier wirklich Erstaunliches aus dem Münchner Rundfunkorchester herausholt: Es hat einen wunderbar französischen Klang. Vielleicht liegt das daran, dass die Musiker in den letzten Jahren verstärkt französisches Repertoire gespielt haben. Man merkt, sie stecken tief im Stoff und müssen sich neben originalen französischen Orchestern kaum verstecken (Offenbach Colorature; Jodie Devos (Sopran), Adele Charvet (Mezzosopran) | Münchner Rundfunkorchester | Laurent Campellone; Werke Boule de Neige | Vert-Vert | Orphee aux Enfers | Un Mari a la Porte | Fantastico | Les Bavards | Mesdames de la Halle | Le Roi Carotte | Les Bergers | Les Conte d’Hoffmann | Robinson Crusoe | Le Voyage dans la Lune; Alpha Classics; ALPHA437). Matthias Käther

 

Da passt ein Album mit Ouvertüren und Zwischenmusiken aus Offenbachs Operetten unter dem etwas riskanten Titel Folies symphoniques von cpo gut dazu. Zu hören sind Les Bavards, Les Bergers, Le Roi Carotte, Monsieur Choufleuri, Les Brigands, Ba-Ta-Clan, Geneviève de Brabant, Monsieur et Madame Denis, La Créole, La Princesse de Trébizonde, Madame Favart, L’Ile de Tulipatan. Es spielt das Brandenburgische Staatsorchester Frankfurt unter Howard Griffiths (CPO, DDD, 2017; 8921600. Dazu schreibt jpc: Ouvertüren haben, wie schon Adolf Tegtmeier alias Jürgen von Manger erkannte, eine wichtige Funktion in der Oper: „Die fangen ja bei zuem Vorhang schon an, und spielense zuerst die ganze Melodien an ein’n Streifen, alles was später so auftaucht. Das ist aber nur, damit man sich an die Musik erst mal gewöhnen soll. Und is natürlich wichtig …, dass man dann hinterher nicht so’n Schrecken kriegt.“ Die hier versammelten Orchestervorspiele machen den Hörer auf das je folgende Werk neugierig. Auch wer die Feinheiten ihrer Konzeption nicht kennt, wird sich an dem unerschöpflichen Melodienreichtum, dem unwiderstehlichen Rhythmus, den Lyrismen und den gekonnten Details der Instrumentierung erfreuen. Die Gesamtheit der Stücke auf dieser CD kann eine Einladung sein, sich dem üppigen Œuvre Jacques Offenbachs anlässlich dessen diesjährigen 200. Geburtstag auch auf unbekannten Pfaden zu nähern, ohne Sorge haben zu müssen, dass man „hinterher so’n Schrecken kriegt“. (jpc)