Wie lange ist es her, dass mein Kollege und ich uns anguckten und sagten: „Wie gut, dass wir ihn noch einmal in dieser Form erlebt haben“, denn bei dem schonungslosen Einsatz der Stimme, der Generosität bei den Zugaben, dem aufgedrehten Verhalten auch außerhalb des Konzertsaals, das das Fernsehen zeigte, war es abzusehen, dass eine Stimme diesem Stress nicht lange standhalten kann. Zudem hatte Rolando Villazón sich mit dem Don José auf heldentenorales Gelände begeben, was der zwar dunklen, aber doch leichten Stimme gar nicht gut tat und wo man im dritten Akt bereits Defizite vernommen hatte. Bitterböse hatten damals noch Fans auf kritische Berichte reagiert, ehe es wenige Wochen später zur ersten Stimmkrise gekommen war. Auf den vier CDs, die Erato nun in einer Kassette, aber ohne jedwedes Booklet herausgegeben hat, hört man die Stimme noch in all ihrer Pracht und mit all ihren Finessen, die der Mexikaner damals einsetzen konnte. Bravo! nennt sich das Viererpaket und könnte ohne weiteres sich Bravissimo nennen, so gelungen sind die meisten Aufnahmen, deren erste aus dem Jahre 2004 und deren letzte aus dem Jahre 2007 stammt (und die aus dem von Warner übernommenen EMI-Kontigent kommen).
Die erste CD bringt Arien aus italienischen Opern, der Dirigent ist der unvergessene Marcello Viotti, der das Münchner Rundfunkorchester in der von ihm gewohnten Art zu einfühlsamer Begleitung der jungen Stimme anhält. Es gibt viel Donizetti, bei dem der Tenor viel länger hätte verweilen sollen, und man staunt über die wunderbar schwebenden Piani auch für die beliebte Arie Cileas „È la solita storie“, stellt fest, wie dunkel die Stimme klingt und konstatiert nur ihr kurzes Nachhintenrutschen , das aber gut kaschiert wird. Der Komponist aus Bergamo ist mit Il Duca d‘ Alba, Elisir, Lucia vertreten, und die Stimme betört durch die leichte Emission, die bemerkenswerte dolcezza, die zärtlich zurückgenommene Lautstärke und das bruchlose An- und Abschwellen, so auf „d’amor“ in Nemorinos Arie. Von Verdi sind einige mehr lyrische Partien vertreten, so der Oronte, dessen Arie Villazón zärtlich romantisch singt, als wäre sie von Donizetti. Der Charakter und die Situation des Don Carlo werden nicht besonders deutlich, und auch die Arie des Macduff wird mit vielen agogischen Feinheiten gesungen, die den Hörer entzücken können, die aber auch die Tragik dieses Schicksals nicht ausloten. Hört man danach den Duca, findet man keinen Unterschied in der Interpretation, in den Farben, dem Nachdruck des Singens. Alfredos Cabaletta wird ohne Mühe nach oben gesungen, erstaunlich und bewundernswert ist, wie der Tenor auf den zwei Silben „quasi“ ein feines decrescendo und ein crescendo unterbringt. Mit schwärmerischem Klang wird der Bohème-Rodolfo in tono gesungen, und „E lucevan le stelle“ könnte aus dem Lehrbuch für ausdrucksvollen Operngesang sein. Im Nerone wird’s dramatisch, L’amico Fritz passt besser zum damaligen Entwicklungsstand der Stimme.
Französische Arien von Gounod und Massenet nahm der Tenor ein Jahr später in guter stimmlicher Verfassung mit dem Orchestre Philharmonique de Radio France unter Evelino Pidò auf und erwies sich als für dieses Fach mit leicht verhangenem Ton als besonders geeignet, wie bereits die Arie aus Le Cid zeigt. Besonders die Traumerzählung des Des Grieux klingt wunderschön poetisch, als Werther singt er wahrlich zu Herzen gehend und sehr idiomatisch noch dazu. Für Roméos „Soleil“ fehlt etwas das Leuchten in der Stimme, in der Gruft ist ihr dunkler Klang passender, aber insgesamt ist das französische Fach bei dieser Stimme sehr gut aufgehoben. Besonders freut es den Hörer, dass auch selten gehörte Stücke wie Mireille, Le Roi de Lahore, Grisélidis, La Reine de Saba und Polyeucte vertreten sind, dem er eine mitreißende Emphase angedeihen lässt, während in „Inspirez-moi“ ein beeindruckender Spitzenton zu bewundern ist. Ätherische Töne lässt schließlich am Schluss der CD noch einmal Des Grieux vernehmen, während Faust so empfindsam wie höhensicher auftritt.
Auf das Jahr 2006 datiert ist die dritte CD mit dem Titel Opera Recital, auf der französische wie italienische Arien, aber auch der Lenski zu finden sind. Skurriles lässt sich im „Klein-Zack“ hören, von schwärmerischem Klang ist „Courage et confiance“, Hoffmann ist sicherlich eine Paradepartie für den Tenor gewesen. In Cavaradossis erster Arie sind die Fermaten bemerkenswert, scheint aber ihre Ausstellung wichtiger zu sein als der Gehalt der Liebeserklärung. Sehr schön ist die dunkle Färbung auf „all‘ aperto“ in Turiddus Abschied, ebenso in Fedora angebracht, wo die Fermate auf dem hohen Ton Erstaunen auslösen kann. Seltsame Vokaldehnungen und -verfärbungen beeinträchtigen den Genuss der beiden Flotow-Arien, ein ungewohnt leidenschaftlich singender Lenski gehört zu den schönsten Tracks der CD. Bei der Arie des Sängers aus dem Rosenkavalier wird es oben bedenklich eng, und die letzte Arie des Riccardo wird recht offen gesungen, die Pianissimi sind nicht mehr so farbig, wie aus den beiden ersten CDs erinnerlich. Wohl fühlt sich die Stimme in La Favorita mit feinem canto elegiaco, während für Don José das Timbre gespreizt wird, der Schluss nicht so gesungen wird, wie Bizet es wollte. Diese Rolle scheint, auf der Bühne gesungen, eine Art Schicksalspartie für den Tenor gewesen zu sein. Mit dem Ernani schließlich singt er entschieden über sein eigentliches Fach hinaus.
Kollege und Förderer Plácido Domingo ist der Dirigent der letzten CD mit Arien aus Zarzuelas, die Villazon hörbar aus vollem Herzen und aus voller Kehle singt, offener noch als die Opern-Arien, aber auch ab und zu mit perfekt gedeckter Höhe, gefühlvoll verhauchend, mit Lachen und Trauer in der Stimme, wie es die jeweilige Arie verlangt. Auch diese CD ist eine schöne Erinnerung an vergangene Zeiten, die Kassette insgesamt trotz aller Einschränkungen allen, die nicht bereits die einzelnen CDs besitzen, unbedingt zu empfehlen (Erato 0825646236183).
Ingrid Wanja