Mit Gefühl

 

Die Schweizer Sopranistin Regina Mühlemann legt bei Sony ein Album mit dem Titel Lieder der Heimat vor, welches neben Kompositionen von Franz Schubert auch viele von unbekannten Tonsetzern enthält (19075983042). Ihr Bestreben war, Titel aus dem Themenkreis Heimat, Natur, Wandern, Abschied und Sehnsucht auszuwählen und darüber hinaus die vier Schweizer Landessprachen zu berücksichtigen.

Bei der im Sommer 2019 in Zürich produzierten Aufnahme wirken prominente Instrumentalisten mit – so der Soloklarinettist der Wiener Philharmoniker Daniel Ottensamer, der die Sopranistin im einleitenden „Der Hirt auf dem Felsen“ delikat begleitet. Die Sängerin mit ihrem feinen lyrischen Sopran, der sich mittlerweile von der Papagena zur Pamina weiterentwickelt hat, trifft die Stimmung des Stückes sehr überzeugend. Der Vortrag hat Duft und zarte Melancholie, die Stimme leuchtet in der Höhe und bewältigt exponierte Töne sowie den Koloraturjubel des letzten Teils, „Der Frühling will kommen“, mühelos.

Es folgen zwei weitere Lieder Schuberts: „Im Frühling“ in leiser Wehmut und „Der Knabe“ in lebhafter Munterkeit, was die Interpretin im Ausdruck entsprechend zu differenzieren weiß.

Später erklingt von Schubert noch „Auf dem Strom“, in welchem Konstantin Timokhine auf dem Naturhorn begleitet. Es wurde 1828, im Todesjahr des Komponisten, in einem Wiener Privatkonzert erstmals gespielt. Der ernste Ausdruck des Stückes ist für die Interpretin eine Herausforderung, die sie an Grenzen führt.

Von den Kompositionen aus der Heimat der Sängerin nehmen jene von Wilhelm Baumgartner einen breiten Raum ein. Überdauert hat das melodische „Noch sind die Tage der Rosen“ von 1857, womit die „4 Lieder“ op. 24 beginnen. Aus den Robert Schumann gewidmeten „Sechs kleinen Liedern“ op. 10 erklingen „Du bist wie eine Blume“ und „Ein Stündlein wohl vor Tag“, die im Stil dem Widmungsträger ähneln und von Mühlemann mit poetischer Zartheit gesungen werden. Ein weiterer Zyklus ist gleichfalls „Sechs kleine Lieder“ betitelt (op. 4) und der früh verstorbenen Wagner-Sängerin Fanny Hünerwadel gewidmet. Mit„An den Abendstern“ aus „Grüsse aus den Bergen“ op. 19 beendet Mühlemann sehr empfindsam diese Gruppe, der eine Komposition von Othmar Schoeck folgt, der zu den bekanntesten Schweizer Tonsetzern zählt: „In der Fremde“ (aus „Sechs Lieder“ op. 15).

Richard Flury war Musiklehrer und Dirigent in Solothurn und widmete die Miniatur „Wandern mit Dir“ aus „29 Lieder“ der berühmten Schweizer Schauspielerin Maria Schell. Die Innigkeit dieses Stückes trifft Mühlemann genau. Der in Baden geborene und in Zürich gestorbene Emil Frey beginnt seine „Vier Lieder“ op. 49 mit „Junges Mädchen in den Bergen“. Mühlemanns Sopran entfaltet sich hier in schönem Fluss. Richard Langer lebte in Biel und starb in Bern, „Fünf Lieder in Schweizermundart“ hinterlassend, aus denen Regina Mühlemann das „Edelwyss“ ausgewählt hat. Der zarten Blüte entspricht die ätherische Stimme mit ihrem schwebenden Höhenglanz. Dazu passen das volkstümliche „Guggisberglied“ aus der „Sammlung von Schweizer Kuhreihen und Volksliedern“ und Friedrich Nigglis „Plange“ aus „Schwyzer Liedli“ op. 10.

Für den französischen Sprachraum stehen zwei Stücke der in Genf geborenen Marguerite Roesgen-Champion aus ihrem Zyklus „Poétique du ciel“: „Cette étoile perdue“ und „Une jeune fille parle“. Sie zeigen impressionistische Einflüsse, erinnern an Debussy und Ravel, bringen einen farbigen Tupfer auf Mühlemanns vokaler  Palette. Italienisches wird vertreten von Schuberts melancholischer  „La pastorella al prato“ und Rossinis heiterer„La pastorella dell’alpi“ aus den „Soirées musicales“ – quasi stellvertretend in Ermangelung einer Komposition aus dem Tessin.

Regina Mühlemanns langjährige Liedbegleiterin Tatiana Korsunskaya ist ihr auch hier eine feinfühlige und inspirierende Begleiterin, die darüber hinaus in Franz Liszts „Au lac de Wallenstadt“ aus „Années de Pèlerinage: Première annèe – Suisse“ auch solistisch brillieren kann. Bernd Hoppe