Materialschlacht

 

Im Zentrum Bolognas ist der Verlag bzw. die Musikfirma Bongiovanni nicht nur seit 116 Jahren und durch drei Generationen hindurch das Musikaliengeschäft in dem man alles, was man sucht, auch bekommt, sondern ein Musikverlag, der sich besonders unbekannteren Opern und emporstrebenden Künstlern widmet. Zu den jungen Talenten, die sich der Förderung durch das Haus erfreuen können, gehört nun auch der Chinese Chuanyue Wang, Sieger vieler Concorsi, geadelt durch die Teilnahme an einem Seminar Carlo Bergonzis und viel in den Vereinigten Staaten unterwegs. Immer lohnt es sich auch, nicht nur die CD anzuhören, sondern das Booklet zu lesen, in dem festgestellt wird, dass wegen einer bedauerlichen Teilnahmslosigkeit der jungen italienischen Generation gegenüber der klassischen Musik die Asiaten, zuerst die Japaner, danach die Koreaner und nun auch die Chinesen den Markt erobern, nicht zuletzt wegen ihres immensen Fleißes und ihrer Opferbereitschaft bei Studium und zu Karrierebeginn. Bis dahin kann man dem Verfasser zustimmen, erste Vorbehalte regen sich jedoch bei seiner Behauptung, mit dem jungen Chinesen habe man den Pavarotti asiatico entdeckt, der wegen seiner technischen Sicherheit, seiner leichten Emission und seiner stupenden Höhe sich diesen Titel bereits verdient habe.

Nach so viel Vorschusslorbeeren begibt sich der Rezensent natürlich mit hohen Erwartungen an das Hören der CD, und sein erster Eindruck ist, und dieser wird vielfach bestätigt, ein durchaus gemischter.

Die Trackliste lässt einen lyrischen Tenor erwarten, sei es von den Partien her, aus denen Arien gesungen werden, wie die des Alfredo, des Duca, des Rodolfo, sei es von den Arien her, die bei der Wahl dramatischerer Partien wie die des Des Grieux oder des Don José, gewählt wurden. Es beginnt mit der Arie des Oronte aus Verdis Lombardi, und der Hörer ist überrascht von dem dunklen, ausgesprochen virilen Timbre, erfreut über die perfekte Registerverblendung und die sichere Höhe. Die Stimme hat einen hohen Wiedererkennungswert, allerdings auch dadurch, dass sie leicht gaumig klingt. Dem Nemorino, dessen Furtiva lagrima, scheint der Tenor schon  entwachsen, er klingt, was anderen Partien gut tun würde, melancholisch verhangen, dabei ausgesprochen männlich und leider die Konsonanten am Ende eines Wortes vernachlässigend. Auch für den Alfredo ist der Tenor recht schwer, was eher seiner Farbe, als seinem Volumen geschuldet zu sein scheint. Wenig elegant oder brillant, zu knallig das allerdings bedeutende Material ausstellend, äußert sich der Duca zu la donna. Verdis Lacrymosa bestätigt den Eindruck, dass es dem Sänger eher auf eine Zurschaustellung des Materials als auf ein Bemühen um Charakterisierung von Person oder Situation ankommt. Je länger man ihm zuhört, desto stärker wird aus der Bewunderung für die Stimme die Verärgerung über die Verweigerung eines Eindringens in den jeweiligen Charakter. Das Booklet lobt das Deutsch des Sängers, ein Lob, das man ihm für die Bildnisarie des Tamino verweigern muss, das man ihm für die Arie aus Das Land des Lächelns als exotische Verfremdung zugestehen kann. Auch hat man nicht den Eindruck, dass sich der Tenor viele Gedanken um Ausdrucksmöglichkeiten gemacht hat. Bizets Blumenarie wird kraftvoll, aber frei von einem Eingehen auf die Intentionen des Komponisten gesungen, auch hier tritt ein, was der Hörer bei vielen Tracks feststellt: er ist zunächst beeindruckt durch die dunkle Gewalt der Stimme und beginnt sich sehr schnell zu langweilen, weil es keinerlei Agogik gibt. Rodolfos Gelida Manina entbehrt der Zärtlichkeit, die Höhe bewundert man, aber man wird nicht berührt. Recondita Armonia dürfte Sant’Andrea delle Valle zum Einsturz bringen, das Fiorito asil die Blüten verschrecken, hier und auch bei den beiden Arien aus Turandot wundert man sich zudem darüber, wie wenig das Orchestra Classica Italiana unter Gianluca Martinenghi, sonst mit Rossini oder Händel befasst, zu sagen hat, wie sehr die Stimme alles dominiert. Material und Technik des noch jungen Sängers sind bemerkenswert, Interpretation ist noch nicht seine Stärke, Ernesto, José, Tamino sind all eins (Bongiovanni GB 2586 2). Ingrid Wanja