Die österreichische Komponistin, Cembalistin und Sängerin Marianna Martines (1744-1812) hatte ein interessantes Leben. Joseph Haydn unterrichtete sie musikalisch, der Opernlibrettist Metastasio lehrte sie u.a. Sprachen und vererbte ihr und ihrer Familie als väterlicher Freund sein Vermögen. Martines spielte Cembalo vor Kaiserin Maria Theresia und erlebte zu Lebzeiten öffentliche Aufführungen und Auftritte. Die Accademia Filarmonica di Bologna nahm sie 1773 als erste Frau in ihre Reihen auf. Martines galt als anerkannte Komponistin von Oratorien, Messen, Kantaten (auf Texte ihres Freundes Metastasio) und Cembalomusik. Und auch sie hatte wie viele ihrer Kolleginnen des späten 18. Jahrhunderts als Komponistin kaum Nachwirkungen und geriet in Vergessenheit. Viele Werke sind verschollen, bspw. sind von mindestens 31 Sonaten für Cembalo heute nur noch drei erhalten.
Die Cembalistin und Dirigentin Nicoleta Paraschivescu spielte bereits 2011 eine CD mit Frühwerken Martines‘ ein. Als Sängerin wurde damals für „Il primo amore“ Núria Rial gewonnen. Nun liegt eine zweite CD von Paraschivescu und dem kleinen Ensemble La Floridiana vor: drei Kantaten, ein Cembalokonzert und eine Cembalosonate – Werke aus den Jahren 1769 bis 1786 sind auf der bei CD „La tempesta“ (Sony/DHM) vereint, wobei vor allem die Kantaten ausnahmslos überzeugen und die Instrumentalmusik überwiegend gefällig erscheint.
Die CD beginnt mit einer 1786 entstanden Scena für Mezzosporan und es ist hörbar ein Werk, das Mozart’sche Einflüsse verrät. Ein Zusammentreffen zwischen ihm und Martines scheint nicht dokumentiert, doch da die Komponisten ihr ganzes Leben in Wien verbrachte und in ihrem stadtbekannten musikalischen Salon die Größen ihrer Zeit empfing, Cembalo spielte und dazu sang, werden beide einander nicht unbekannt geblieben sein. Martines‘ Musik ist ein typisches Beispiel für ihre Zeit, und zwar auf sehr gutem Niveau: sie ist beredet, schwungvoll und flüssig – charmante, spielfreudige Rokokomusik und liebliche Kantatentexte. Man hört sowohl virtuose Cembaloklänge als auch höfisch-geprägte, galante Liebesnöte zu einer Musik, die auf der Höhe der Zeit war und von Paraschivescu und ihrem Ensemble durchweg ideal balanciert und phrasiert wird. Für die Kantaten hat man eine Luxusbesetzung gewinnen können. Die italienische Mezzosopranistin Anna Bonitatibus singt sechs Arien auf dieser CD und trifft dabei in den Arien und Rezitativen exakt den Tonfall aus Empfindsamkeit und Anmut, Verlangen und Sehnsucht, der sie auch zu einer gefragten Mozart-Sängerin macht. Durch Bonitatibus‘ hervorragende Stimme gewinnen Martines‘ Kantaten ein bemerkenswertes Format.
Für Freunde der Musikperiode an der Schwelle von Rokoko zu Frühklassik ist das eine lebendig musizierte und lohnenswerte Entdeckung und eine sehr schöne Repertoire-Erweiterung, bei der man vor allem die Kantaten mit der wunderbaren Anna Bonitatibus öfters hören kann (Marianna Martines – La tempesta mit Nicoleta Paraschivescu / La Floridiana / Anna
Bonitatibus; deutsche harmonia mundi/Sony 88875026722)
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Marcus Budwitius