Interpretation und Emotion

 

Schier aus dem Häuschen geriet das Publikum des Teatro San Carlo di Napoli, eingeschlossen Ministerpräsident Matteo Renzo und die Minister für Kultur und Erziehung, als Jonas Kaufmann mit seinem italienischen Programm „Dolce Vita“ den Saal zum Kochen brachte. Wobei die nun vorliegende CD doch einige Verwirrung schafft. Eigenartig dass gerade das Stück, nämlich Lucio Dallas Caruso, dessen Interpretation am meisten befremdet, an den Anfang der CD gestellt wurde. Das Fehlen von scheinbarer Mühelosigkeit der Emission des Tons, die Stimme, die eher, je höher sie klettert, gepresst klingt statt zu strahlen, irritieren, und auch Leoncavallos Mattinata, die folgt, hat nicht die dolcezza, die ihr andere Sänger, man denke nur an Gigli, verliehen. Stupend ist allerdings der Spitzenton. Neben Tracks, die wie diese beiden eher enttäuschen, gibt es solche, in denen Kaufmann mehr zu bieten hat als verflossene oder noch lebende Kollegen. Dazu gehört Nino Rotas Parla più piano, das wunderbar zärtlich und schwerelos, dabei sehr erotisch klingend, interpretiert wird. Auch das dunkel-verhangene Passione mit imponierendem Spitzenton und Un amore così grande mit schöner Steigerung von einem Refrain zum anderen sprechen von künstlerischer Meisterschaft, die die Canzonen von jedem Verdacht der Banalität befreien. Effektvoll ist der Reichtum an Agogik in Il canto, insbesondere der Pianoschluss. Die Leichtigkeit von Voglio vivere così wird ebenso getroffen wie Catarì fast zu einer Opernarie zu werden scheint. Nicht zuletzt die Fermaten-Spitzentöne wie nicht nur in Non ti scordar di me oder Torna a Surriento werden das Publikum ins Delirium geführt haben, auch wenn die sacht verklingende Melancholie von Fenesta ca lucive vielleicht von noch größerer Könnerschaft spricht.

Insgesamt macht Kaufmann das Fehlen eines strahlenden Canzone-Timbres durch viele interpretatorische Feinheiten wett, so auch in Musica proibita mit einem dunklen Schwelgen der Stimme und in Parlami d’amore, Mariù durch einen geradezu ätherisch wirkenden Schluss.

Was Interpretation vermag zeigt sich am stärksten im oft herunter geplärrten Volare, das bei Kaufmann zu einem zärtlichen Schweben wird mit einem witzigen Schluss und durchgehend den Text detailverliebt ausdeutend, Ob Rondine al nido als überinterpretiert angesehen werden kann, weil ihm die Naivität des Canzonencharakters genommen wird, bleibt Geschmackssache ebenso wie das Falsett in Con te partirò.

Eine insgesamt einfühlsame, nur manchmal zu pompöse, breit-breiige Begleitung bietet das Orchester des Teatro Massimo di Palermo unter Asher Fish (Sony 88875183632). Ingrid Wanja