The Crazy Queen of Baroque nennen sie bewundernd ihre Fans, eher spöttisch diejenigen, die mehr das „crazy“ als die „queen“ betonen. Spätestens seit ihrem Auftritt bei einer Aids-Gala in Berlin mit der Arie der Amalia aus Verdis I Masnadieri polarisiert Simone Kermes das Opernpublikum, nicht wegen ihrer oft bizarren Optik, sondern wegen des unkonventionellen Umgangs halt nicht nur mit Alter Musik“, auch wenn diese das Zentrum ihres Wirkens darstellt. Die jüngste ihrer zahlreichen CDs nennt sich schlicht Love und vereint auf sich Liebeslieder und-arien ausRenaissance und Barock. Monteverdi, Purcell oder Dowland sind darauf vertreten, aber auch vieles weniger Bekanntes. La Kermes sieht in der Zusammenstellung der Stücke den Ablauf einer von einer Frau erlebten Liebesgeschichte, vom ersten, entscheidenden Blick bis zum Liebestod, obwohl die meisten der Arien für Männer bestimmt waren und auch der Schwerpunkt nicht auf dem Liebesglück, sondern ganz eindeutig auf Enttäuschung und Liebesleid liegt, was sogar zeitweilig zu dem Plan führte, sich auf die Gattung der Mad Scene zu beschränken. Auch die Wahl von vier Kulturkreisen, aus denen die Stücke stammen, spricht, da sie „unterschiedliche Mentalitäten und Charaktere“ darstellen, gegen eine fortlaufende Handlung. Und wenn Simone Kermes meint, man könne die Musik ihrer CD mit der moderner Popmusik vergleichen, einfach, aber nicht simpel zu sein, stellt sie letzterer ein erstaunliches Zeugnis aus.
In dem umfangreichen Booklet findet jeder Track eine Erläuterung, der meistens drei Begriffe wie „Sehnsucht-Treue-Stolz“ vorangestellt sind, die nicht immer in den Arien selbst zu finden sind. Historische, biographische oder Informationen über den musikalischen Aufbau der Lieder tragen dazu bei, die Erwartung besonders hoch zu schrauben. Den Abschluss bildet stets ein Zitat, vorwiegend aus Dramen Shakespeares.
Das Cover zeigt die Sängerin im schlichten weißen Empire-Gewand, den Kopf auf einen Pelz gebettet, auf rosigem Grund und wohl den Geheimnissen der Liebe nachsinnend. Dem Hörer bieten sich mit Monteverdis Lamento della ninfa ein Wesen von gekünstelter Naivität, eine nicht gleichmäßig exakt ansprechende Stimme und ein verhuschtes Italienisch, das auch Merulas „Folle è ben“ in seiner Wirkung beeinträchtigt. Auch das Französisch in Boëssets Récit de Mnémosyne könnte eine klarere Artikulation vertragen, in Frescos ayres geht der melancholische Klagelaut zu Herzen. Wird es spanisch, so auch mit Briçeňos „Ay amor loco“, erkennt man, wie gut der Sängerin das Volksliedhafte liegt, wie auch eine gewisse Schärfe des Soprans durchaus als Gewinn betrachtet werden kann, so auch in der drahtigen Höhe von Cestis „Disserratevi, abissi“. In Barbara Strozzis „Che si può fare“ wird vieles nur angetippt, was ein Ausspinnen, ein Verweilen vertragen könnte, in Lamberts „Sombres déserts“ wird der schwermütige Ton gut getroffen.
Temperamentvoll werden die technischen Schwierigkeiten von Manellis Grida l‘alma bewältigt, doch insgesamt stören oft Intonationsschwächen, eine verwaschene Diktion und eine gewisse Variationsarmut: es ist immer mehr unverwechselbare Kermes anstelle von unverwechselbarem Komponisten, Figur, zeitgenössischem Stil. Das fällt besonders auf, wenn ein so gewaltiger Barocktext wie Meruals „Chi vuolch‘io“ ins unverbindlich Kindliche transponiert wird. Anders sieht es bei Eccles‘ „I burn, I burn“ aus, das dem Temperament der Sängerin angemessen ist und in dem sie die Gegensätze, von denen das Stück lebt, herauszustellen weiß. In „Più bella maestà“ von Cesti findet der Sopran zu innigen und damit angemessenen Tönen, die schöne Klage von Purcells Dido bildet den Schluss der CD, die Simone Kermes auf einer Tournee in verschiedenen deutschen Städten, aber auch in Mexiko vorstellen wird. Dabei wird sie von La Magnifica Comunità unter Enrico Casazza begleitet. Er und seine Musiker sind auch für die Arrangements, teilweise sogar, wenn nicht mehr vorhanden, für die Kompositionen verantwortlich (Sony 88875111382). Ingrid Wanja