Nach„Du bist die Welt für mich“ mit Berliner Liedern der 1920er und 30er Jahre und „Dolce Vita“ mit italienischen Canzonen begibt sich Jonas Kaufmann mit seiner neuen CD „Wien“ erneut auf abseitiges Terrain (Sony 19075950402). Doch mit seiner Reverenz an die österreichische Metropole reiht er sich ein in die illustre Schar von berühmten Vertretern seiner Stimmgattung, die neben ihren Auftritten auf der Opernbühne sich immer wieder dem Genre der leichteren Unterhaltung widmeten. Dass dieses durchaus hohe Ansprüche an die stimmlichen und technischen Fähigkeiten des Interpreten stellt, beweisen die Operetten von Johann Strauß II, Franz Lehár und Emmerich Kálmán. Von letzterem Komponisten offeriert Die Zirkusprinzessin gar die Operettenversion von Leoncavallos Pagliacci mit der Figur des Mister X, der mit seinem Monolog „Wieder hinaus ins strahlende Licht“ an Canios „Recitar“ erinnert. Kaufmann überzeugt mit diesem Titel besonders, gestaltet ihn mit imponierender Steigerung und existentiellem Ausdruck.
Von Lehár findet sich ein Ausschnitt aus der Lustigen Witwe – das Duett Hanna/Danilo „Lippen schweigen“, in welchem die amerikanische Sopranistin Rachel Willis-Sørensen die Partnerin des Tenors ist. Sie war in der konzertanten Fledermaus in der Semperoper zu Silvester, wo er erstmals (und durchaus mit zwiespältigem Ergebnis) den Einsenstein sang, seine Rosalinde. Im cremigen Ton und sinnlichen Timbre ihres hohen Soprans erinnert sie an Renée Fleming.
Allein sechs Nummern sind dem Schaffen von Johann Strauß II gewidmet. Die erste ist das Duett Graf/Gräfin„Wiener Blut“ aus der gleichnamigen Operette mit Kaufmann und Willis-Sørensen, die zu perfekter Balance von Schmelz und Schmalz finden. Mit dem koketten Uhrenduett Eisenstein/Rosalinde aus der Fledermaus erinnern sie an ihren gemeinsamen Dresdner Auftritt. Mit drei Arien aus Eine Nacht in Venedig kann der Solist besonders brillieren – die Partien des Caramello und Herzogs fanden sich im Repertoire aller gefeierten Tenöre von Tauber und Schmidt bis Schock und Gedda. Bei „Sei mir gegrüßt“ und „Komm in die Gondel“, wo er jeweils mit Spitzentönen auftrumpft, hört man bei Jonas Kaufmann am ehesten den Opernsänger heraus. Zu den weniger bekannten Werken von Strauss II zählt Die Tänzerin Fanny Elssler, doch hat sich das Lied „Draußen in Sievering“ längst einen Platz in der Hit-Liste der Operette erobert. Kaufmann singt es bezaubernd mit Charme und Nostalgie.
Neben den Beiträgen aus der klassischen Wiener Operette mit üppiger Orchestrierung, wo sich die Wiener Philharmoniker unter Ádám Fischer schwelgerisch ausbreiten, hat Kaufmann auch eine Reihe von Wienerliedern ausgewählt, die zum Teil in kleiner Besetzung wie mit einem Salonorchester erklingen. Da gibt es zwei Kompositionen von Robert Stolz – „Wien wird bei Nacht erst schön“ (dem stimmungsvollen Auftakt des Programms) und „Im Prater blühn wieder die Bäume“ – sowie zwei Ausschnitte aus dem Film „Heut ist der schönste Tag in meinem Leben“ von 1935 mit der Musik von Hans May, die Joseph Schmidt so unvergleichlich interpretierte. Neben dem auftrumpfenden Titelsong ist „Es wird im Leben dir mehr genommen als gegeben“ eher von resignierter Wirkung. Hatte Kaufmann bei der Berliner Platte seinem Gesang einen Kabarett-Ton beigemischt und damit den Vergleich mit Richard Tauber von vornherein vermieden, finden sich in der Interpretation der Wiener Titel Parallelen zu Michael Heltau.
Auch Rudolf Sieczynskis „Wien, du Stadt meiner Träume“, Ralph Benatzkys „Ich muss wieder einmal in Grinzing sein“ und Peter Kreuders „Sag beim Abschied leise Servus“ sind längst Klassiker der Sparte. Eine Rarität ist das Lied „Du wärst für mich die Frau gewesen“ aus Jaromir Weinbergers Frühlingsstürme, das mit wehmütigen Kopftönen schmerzliche Erinnerungen heraufbeschwört. Der Abschluss des Programms mit Georg Kreislers hintergründigem„Der Tod, das muss ein Wiener sein“ wirkt wie ein Bonus, den hier begleitet Michael Rot den Solisten am Flügel. Der Titel fällt auch in seiner Stimmung aus dem Gesamtkonzept der Platte heraus, die aber dennoch gute Laune garantiert. Berd Hoppe