Zu hören sind auf der neuen Erato-CD die üblichen Verdächtigen: Bellini, Donizetti, Verdi. Und überraschenderweise hat Diana Damrau hier auf einem langen, langen Album von fast 80 Minuten quasi als Zugabe noch zwei Arien aus der Verismo-Epoche hinzugefügt, die stilistisch nicht so recht passen, paradoxerweise aber zu den Höhepunkten der CD zählen. Die Damrau gehört zu den vielseitigsten und erfolgreichsten Opernsängerinnen der Gegenwart. Jetzt ist ihr neues Album da – und verschafft erstaunliche Einblicke. Eins wird beim Zuhören wieder einmal klar – Diana Damrau ist keine klassische Diva. Sicher, sie tritt selbstbewusst und energiegeladen auf, aber sie bleibt doch immer das singende Mädchen von nebenan, ins Übergroße projiziert. Das hat Vor- und Nachteile. Einer Sutherland oder Callas glaubte man jede Königin – deren Grandezza wirkt noch heute ehrfurchtgebietend. Selbst die Caballé konnte als Maria Stuart in Donizettis Oper einen Saal in Atem halten. In den fragileren Rollen waren diese Superstars dann aber oft Wölfinnen im Schafskleid. Bei Diana Damrau ist es umgekehrt. Ich glaube ihr sofort eine Konstanze oder eine Mimì, aber keine Königin. Ihre Rosmonda oder Maria bleiben höflich in der Trauer; der Zorn der Stuarda ist bei ihr ein Sturm im Wasserglas, der Elisabetta der Ersten kaum schlaflose Nächte bereiten dürfte.
Aber sie ist eben immer da großartig, wenn sie Frauen gestaltet, die mit ihren Sorgen und Freuden auch uns heute noch nahe sind. Ihre Violetta ist hochindividuell, mondän und klassisch zugleich, denn die Damrau schafft es, in diese Rolle drei Aspekte gleichzeitig hineinzulegen: die Liebende, die Todkranke und die Kurtisane. Letztere wird fast immer vergessen. Bei der Damrau schwingt immer mit, wieviel Violetta über die Welt, insbesondere die Männer, weiß. Die Vorlage, der Dumas’sche Esprit, schimmert bei ihr durch. Sehr überzeugend (vielleicht auch, weil auf der Bühne gesungen?)!
Hohes Niveau mit kleinen Schönheitsfehlern: Bei einer Künstlerin wie Diana Damrau kann man sich als Kritiker den Luxus gönnen, rein gestalterische Aspekte zu benörgeln, und das ist ein großes Kompliment bei dieser extrem schwierigen Gesangskunst, die in ihrer Qualität völlig unangefochten bleibt, abgesehen vielleicht von einigen Spitzentönen, die etwas weicher und runder noch belacantesker gewirkt hätten. Ihren Donizetti finde ich – wie in ihrer Lucia-Gesamtaufnahme – doch recht facettenlos, hübsch gesungen, aber ohne Abgründe. Bellinis große Bögen gelingen ihr anrührender, besonders in der Sonnambula, wo sie wieder ihre schöne allürenfreie Natürlichkeit ausspielen kann. Und so bleibt Diana Damrau in ihren besten Momenten aufregend, spannungsgeladen und anrührend, besonders beeindruckend bei Verdi, Puccini und Leoncavallo. Deren Charaktere scheinen ihr insgesamt näher zu sein. Neddas Arie ist ein verführerischer Appetizer – die Partie möchte man danach sofort komplett mit ihr hören. Aber mal schauen, vielleicht ist Erato beim Produzieren des Albums ja selber auf diesen Gedanken gekommen (Fiamma del Belcanto: Diana Damrau, Sopran; Orchestra Teatro Regio Torino; Gianandrea Noseda: Erato LC 00200)
M. K./G. H.