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Der einzige Makel dieser beglückenden Aufnahme oder, um im Bilde zu bleiben, der einzige Schatten, der auf sie fällt, ist der Titel, den man sich bei Erato für die neue Arien-CD von Michael Spyres hat einfallen lassen: In the Shadows, dazu ein grauschwarzes Cover, auf dem Spyres mit starr nach oben gerichtetem Blick wie zur Geisterbeschwörung aufruft (Erato 5054197879821).
Es geht schlichtweg um Komponisten im Schatten Wagners, um „those who formed the foundation of his compositional aesthetic and sculpted the framework of vocal writing that would become the Wagnerian tenor“. Und Spyres selbst spricht im Beiheft richtigerweise von Einflüssen, „Ich entdeckte, dass mein Weg zu Wagner über ein verflochtenes Netzwerk von Einflüssen verläuft, die ihn geprägt haben. Mit wenigen Ausnahmen war das Repertoire, das mich am meisten bewegte und herausforderte, Musik, die den jungen Wagner selbst inspirierte“. Im Schatten Wagners standen zu Lebzeiten weder Méhul noch Weber, weder Auber noch Meyerbeer und schon gar nicht Spontini, Rossini und Bellini, dessen Norma Wagner bekanntlich außerordentlich bewunderte. Manches davon ist heute freilich vergessen.
Umso schöner, dass Spyres und Christophe Rousset das Augenmerk auf die eine oder andere Rarität lenken. Dazu gehört gleich zu Beginn Josephs leidenschaftliche Arie „Vainement Pharaon“ aus Etienne Méhuls gleichnamiger Opéra comique von 1807, in der Spyres die Eingangsphrasen souverän gestaltet und sie nahtlos in den ariosen und leidenschaftlich gesteigerten Teil überführt. Auf diese Weise wirkt die Arie wie eine Vorlage zu Beethovens Florestan, dessen orchestralen Teil Rousset und Les Talens Lyrique ebenso behutsam ausmalen wie Spyres das Rezitativ und schließlich die ekstatischen, leicht gebremsten Aufschwünge „ein Engel Leonore“ und „führt mich zur Freiheit ins himmlische Reich“. Die verflixt schwere Arie klingt, bei aller flüssigen Aufbau, stellenweise etwas vorsichtig, auch ist die Stimme etwas angedickt und in der Höhe nicht ganz frei. Auf Beethoven folgt, chronologisch korrekt, der Leicester aus Rossinis Elisabetta. Dazu Spyres, „Es war Rossinis musikalische Gestaltung der Rolle des Earl of Leicester in Elisabetta, regina d’Inghilterra (1815) mit der innovativen Verschmelzung von Koloratur und einem dramatischen Tenor als romantischen Protagonisten, – quasi ein Vorläufer des Stimmfachs des jugendlichen Heldentenors – , die den Gesangsstil veränderte und Meyerbeer bei seiner Gestaltung des Adriano in Il crociato in Egitto (1824) tiefgreifend beeinflusste“. Bei Rossini bewegt sich Spyres, der auf der Aufnahme dann auch die großartige, von den tiefsten Tiefen bis zu den höchsten Höhen reichende Szene „Suona funerea“ mit Chor aus Meyerbeers Crociato folgen lässt, auf dem vertrauten Terrain seiner frühen Erfolge.
Erstmals gehört hatte ich ihn mit Rossini 2007 in Bad Wildbad als Alberto in La Gazzetta, in der er bereits alle Mitwirkenden an stilistischer Versiertheit übertraf, doch Sensation machte im folgenden Jahr sein Otello, bei dem er neben der baritonalen Grundlage bis zu den sicher platzierten Höhen Klangfülle und Schönheit, vokale Energie und gestalterische Phantasie auf triumphale Weise verband. Sein Rossini-Katalog erweiterte sich in Bad Wildbad noch um Néoclès und den Arnold in Guillaume Tell, stets auf hohem, wenngleich nicht ungetrübten Niveau. Toll ist auf der aktuellen CD die furiose, von Les Talens Lyrique zugespitzte Attacke des Leicester. Die Leichtigkeit der frühen Jahre freilich ist dahin.
Als Webers Max verbindet Spyres sowohl sensible Seelentöne wie dramatische Aufwallungen zu einer bravourösen Gesangsnummer. Eine sichere, feste Höhe demonstriert er als Aubers Masaniello aus La muette de Portici, eine Besonderheit ist – als World-premiere recording in the original German – der Heinrich aus Spontinis preußischer Festtagsoper Agnes von Hohenstaufen; die Arie quält sich allerdings genauso mühsam wie der Text des Hohenstaufen-Chronisten Ernst Raupach „Der Strom wälzt ruhig seine dunklen Wogen“.
Welch ein Unterschied dann der mit heroischer Geste und martialischer Wucht draufgängerisch gestemmte Pollione aus Bellinis Norma, in der Julien Henric als Schwertträger Flavio assistiert. Mit einem Ausschnitt aus Hans Heiling weist Spyres nachdrücklich auf die Bedeutung von Marschner hin, dessen Szene des Konrad „Gönne mir ein Wort der Liebe“ geradezu den Erik vorwegnimmt. Spyres singt allerdings den wie eine Fleißarbeit wirkenden Arindal in Wagners Die Feen. Rienzi („Allmächt’ger Vater, blick herab“) und Lohengrin („Mein lieber Schwan“) schließlich erscheinen im Zusammenspiel mit den anderen Arien und Komponisten zwar nicht in neuem Licht, aber doch als konsequente Weiterentwicklung eines Gesangsstils, dessen Verankerung in den innovativen Werken der Übergangszeit vom 18. zu 19. Jahrhundert zu finden ist, was Spyres in der feinen Artikulation, den skrupulösen Steigerungen und den bravourös angelegten Höhepunkten belegt. Rolf Fath
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Dazu auch die Rezension von Rolf Fath zum ersten Lohengrin von Michael Spyres in Strasbourg in der Rubrik „Die besondere Oper“.