Vom letzten Track, der Arie des Cecilio aus Mozarts Lucio Silla, erhielt die im Jahre 2000 von Susan Graham aufgenommene CD Il tenero momento ihren Titel. Nun ist sie mit einem übersparsamen Booklet wieder auf dem Markt erschienen und verrät nicht einmal, wer eigentlich singt, wenn man sich in dem zum Teil weniger bekannten Repertoire nicht auskennt, recht unangenehm. Etwas mehr Informationen könnten schon vermittelt werden, es müssen nicht unbedingt die Lebensdaten der beiden Komponisten Gluck und Mozart sein. Mehr ist allerdings an der Aufnahme nicht auszusetzen, denn die makellose, von fast ganz unten bis ganz oben ebenmäßig getönte Stimme ist ideal für Gluck, sei es für den Paride mit leichtem Tonansatz in „Oh, del mio dolce ardor“, wo die geschmeidige Stimme die Farbe der begleitenden Instrumente anzunehmen weiß, schöne fließende Übergänge vollzieht und einen zart melancholischen Ton aufweist, sei es für den Orpheus mit dem schmerzvollen „Eurydice“, dem ausdrucksvollen Rezitativ „Qu’entends je“, der schönen Ausgewogenheit zwischen subjektivem Empfinden und klassischer Mäßigung. Getragenes liegt der Mezzostimme besonders gut, die edle Tragik der Iphigénie mit den zart angetippten, aber gut gestützten Höhen, die großzügige Phrasierung lassen die Atridentochter vor dem geistigen Auge des Hörers erstehen. Mozart ist mit den beiden Arien des Cherubino vertreten, wo nicht alle Farben im Presto entfaltet werden können, auch wenn die Gruppetti präzise gelingen, ein feines Decrescendo auf dem Spitzenton von „Non so più“ erfreuen kann. Sehr, sehr schön und erfüllt gesungen werden die Arien des Sesto, voller Empfindsamkeit wie Entschlossenheit und edel im Klang das „Parto, parto“, ausgeglichen zwischen Nachdruck und Zartheit, im virtuosen Schluss ganz souverän. Die Intervallsprünge in „Deh, per questo instante“ bereiten keine Schwierigkeiten, der langsame Teil ist auch hier makellos. Bleiben die Arie des Idamante aus Idomeneo und die des Cecilio aus Lucio Silla, wo Ersterer ausgesprochen jugendlich klingt, so im Vergleich zum Orpheus, und Letzterer bis in die extreme Höhe hinaus die Mezzofarben bewahren kann. Die auf die Sängerin einfühlsam eingehende Begleitung oblag Harry Bicket mit dem Orchestra of the Age Enlightenment (Erato 0825646332717).
Genau antichronologisch arbeitete sich José Cura 1997 auf seiner ersten, nun wieder aufgelegten CD durch Puccinis Tenorpartien, begleitet von Plácido Domingo und dem Philharmonia Orchestra. Mit Calafs „Nessun dorma“ zu beginnen, erhöht mit Sicherheit den Kaufreiz eher als Le Villi, von denen es außerdem eine Gesamtaufnahme mit dem Sänger unter Bruno Aprea gibt. Dummerweise folgt gleich darauf die Arie des Rinuccio aus Gianni Schicchi , eine Rolle für einen lyrischen Tenor, der Cura wohl nie war, relativ spät zur Oper gekommen und sich vor allem mit vielen Otellos etablierend. Für Calaf kann die virile, dunkel getönte Stimme gefallen, besonders die obere Mittellage und die Extremhöhe lassen einen beachtlichen squillo hören, aber im passaggio klingt der Tenor ausgesprochen ingolata, die Stimme wie in den Hals zurück gerutscht. Das wiederholt sich auch den andren Arien, scheint ein immanentes Problem des Sängers zu sein. Für den „albero fiorito“, mit dem Florenz verglichen wird, fehlt eine feine Duftigkeit in der Stimme, auch wenn zu Beginn im Rezitativ noch eher jugendliche Geschmeidigkeit zu erkennen ist als in der Arie. Für Liù hat der Tenor zu Beginn von „Non piangere Liù“ durchaus einen zärtlichen Ton, doch enttäuscht der Übergang zu „quell‘ sorriso“, wo das Piano wenig Farbe hat. Die beiden Ausschnitte aus Il Tabarro passen weitaus besser zu der auch damals schon reifen Stimme, können die dunkle Bitterkeit der Partie ausdrücken, und hier kann auch die Phrasierung überzeugen. Zu einem Wechselbad der Gefühle wird für den Hörer im Vergleich mit Tabarro dann wieder La Rondine, wo der Tenor zu monoton klingt, Eleganz vermissen, kein chiaro-scuro vernehmen lässt und in der Höhe grell klingt. Es geht auf und ab mit Erfreulichem wie der Fanciulla im Vergleich mit Madama Butterfly, hier ein viriles markantes Singen, wie die Partie es verlangt, auch wenn „la donna ch’io amo“ inniger klingen könnte, dort kein Treffen des Charakters Pinkertons, kein Unterschied zwischen dem ersten und dem dritten Akt. Als Cavaradossi kann man sicherlich mehr den Revolutionär, den Künstler oder den Liebenden hervorkehren, aber wenn man ein Piano singt, wie in „E lucevan le stelle“ unverzichtbar, dann muss dieses auch Farbe haben. Dieser Cavaradossi klingt trotz genauer Beachtung der Hinweise des Komponisten zu spröde. Auch der Rodolfo Curas kann in seiner Stimme die poetische, verhaltene, zärtliche Stimmung in „Che gelida manina“ nicht einfangen, klingt zu direkt, im passaggio wie geknebelt. In den fünf Auszügen aus Manon Lescaut wird er mit Fortschreiten der Handlung immer besser, vom wenig geschmeidigen „Tra voi, belle“ bis zum dunkel verhangenen „Vedi, son io che piango“. Nur die allerextremste Höhe des Edgar klingt gequält, ansonsten kann man hier wie auch in anderen Tracks den unüberhörbaren squillo der Stimme bewundern. Insgesamt leidet die Aufnahme unter fehlgeleitetem Ehrgeiz, der dazu führte, ganz unterschiedliche und damit nur zum Teil der Stimme angemessene Stücke miteinander vereinen zu wollen. Die dazu erforderliche Vielseitigkeit ist José Cura hörbar nicht gegeben (Erato 0825646332748).
Ingrid Wanja