Aus den Anfängen der Großen

schubert winterreise diskau ina„Die Winterreise geht über nur lyrische Anforderungen weit hinaus, bis zur Dramatik reicht die Skala des Ausdrucks“, schreibt Dietrich Fischer-Dieskau in Auf den Spuren der Schubert-Lieder. Wesentlicher erscheint noch seine Bemerkung, „Die Forderung an einen einheitlichen Darstellungsstil, die ebenso an den Sänger der Schönen Müllerin wie an den Winterreise gestellt wird, lässt sich im zweiten Zyklus naturgemäß leichter erfüllen, verbleibt doch der Umschwung des Affekts jeweils in der gleichen Richtung des persönlichen Ausdrucks. Um so mehr ist auf Vertiefung der Darstellung hinzuwirken, denn eine mittlere Norm des Schönklangs für alle 24 Lieder könnte hier Einförmigkeit aufkommen lassen“. Das liest sich sehr trocken. Über einen Zeitraum von mehr als 40 Jahren hat sich Fischer-Dieskau immer wieder mit der Winterreise auseinandergesetzt, sie unzählige Male gesungen und den Zyklus mehrfach aufgenommen. Nicht für eine Veröffentlichung geplant waren die ersten drei unter Studio-Bedingungen entstandenen Rundfunk-Aufnahmen von 1948 mit Klaus Billing, 1952 mit Ernst Reutter und 1953 mit Hertha Klust. 1955 nahm Fischer-Dieskau den Zyklus mit Gerald Moore erstmals im Studio auf – es folgten Einspielungen 1962 mit Moore (erneut für HMV), 1965 mit Jörg Demus, 1971 mit Moore und 1979 mit Daniel Barenboim (alle für DG), 1985 mit Alfred Brendel (Philips) sowie zuletzt im Juli 1990 mit Murray Perahia (Sony). Ein halbes Jahr nach den Studio-Tagen im Januar 1955  kam es zu dem von Radio france übertragenen und jetzt erstmals veröffentlichte Liederabend vom Festival de Prades vom 4. Juli; Der Lindenbaum, der aufgrund technischer Probleme während des Konzerts auf den Originalbändern fehlt, wurde durch Lindenbaum der Klust-Aufnahme ersetzt. Man steht im Bann eines Liedsängers, der jede Zeile durchdrungen hat und mit ungemeiner Subtilität und Zartheit und einem tragfähigen Piano singt. Selbst Fischer-Dieskau-Skeptiker, und solche soll es geben, werden von der Interpretation des gerade 30jährigen Sängers hingerissen sein, weshalb diese – als seine einzige live-Version angekündigte – Aufnahme trotz der Fülle an Alternativen sehr willkommen ist.

Über einen Zeitraum von rund 40 Jahren beschäftigte sich Carlo Maria Giulini mit Verdis Requiem, das er erstmals 1957 beim Holland Festival und zuletzt im Januar 1998 in Turin und Paris sowie zweimal – 1963 in London und 1989 in Berlin – im Studio dirigierte. Der Mitschnitt des Eröffnugnskonzerts des Edinburgh Festival vom 21.8.1960 kann mit der Jahrhundertaufnahme von 1963 mithalten. Auch hier die kalte, mitleidlose Gewalt des Jüngsten Gerichts, die visionäre Schönheit und  Zuversicht auf himmlische Erlösung, aufwühlend, dabei ruhig und ohne überreizte Theatralik vorgetragen. Joan Sutherland, noch vor ihrem Lucia-Durchbruch, singt mit reichem, fabelhaft sicherem Sopran, die 25jährige Fiorenza Cossotto, sicherlich nicht immer edel, ist eine Wucht; von Giulinis Umgang profitieren der geradezu kostbar klingende Luigi Ottolini und der zunächst knarzig-harte Cossotto-Gatte Ivo Vinco, der im „confutatis maledictis“ gewinnt.

R. F.

 

Schubert: Winterreise mit Dietrich Fischer-Dieskau; Gerald Moore; INA IMV 058

Verdi: Requiem mit Joan Sutherland, Fiorenza Cossotto, Luigi Ottolini, Ivo Vinco; Philharmonia Chorus & Orchestra; Leitung: Carlo Maria Giulini; Testament SBT2 1494