Wie angenehm für den Rezensenten, wenn mit der CD gleich eine Kritik mitgeliefert wird, so mit der von Piotr Beczala, der, ehe er den Lohengrin in Dresden und Bayreuth in Angriff nimmt, noch französische Tenorarien aufgenommen hat. The French Collection nennt sich die bei der Deutschen Grammophon erschienene CD, wobei auch Arien aus der französischen
Fassung von zwei Donizetti-Opern und die Arie des Don Carlos aus dem ersten Akt der fünfaktigen Fassung vertreten sind. Jürgen Kesting bescheinigt dem polnischen Tenor im Booklet die perfekte Stimme für das französische Fach, auch wenn er nicht immer die viel beschworene voix mixte einsetze,aber vor allem, weil er „mit der Stimme singt, die er hat – und nicht mit der, die er gern hätte“.
Piotr Beczala selbst erklärt die relativ späte Hinwendung zu neuen Ufern damit, dass er das langsame Erklimmen eines Bergs mehr schätzt als die plötzliche Landung auf demselben, die die Gefahr des Absturzes in sich birgt. Um sich seiner Terminologie zu bedienen: Es gibt durchaus einige Punktlandungen mit allerdings schnellem Wieder- Abflug, so Don Josès Blumenarie oder den bereits erwähnten Don Carlos, zu deren Gesamtpartie man ihm nicht raten würde. Sänge er den Don José einschließlich des 3. Akts, würde wahrscheinlich der wunderschön im Pianissimo auf dem hohen B gesungene Ton anders ausfallen, die insgesamt „duftig“ wirkende Darbietung so nicht mehr möglich sein. Für den Carlos hat der Tenor ein empfindsames Rezitativ, vermeidet, der Situation eingedenk, auch jeden tragischen Klang für „Je l’ai vue, et dans son sourire“, sondern lässt die tenorale Sonne scheinen. In den beiden Donizetti-Arien hat er für La Favorite eine bemerkenswerte Fermate, den „Ange si pur“ aus Dom Sébastian die notwendige Sensibilität.
Eingeleitet wird das Programm mit dem dem Sänger vertrauten Werther, für den die mühelose, sanfte Emission der Stimme überzeugt, der geschickte Aufbau bis hin zum Spitzenton, der fast als Schrei gerät. „printemps“ kann sich einer schier endlosen Fermate erfreuen. Ebenfalls von Massenet ist die Arie des Cid, deren Ausführung durch eine großzügige Phrasierung besticht, durch einen schönen Fluss der Stimme, durch eine beinahe schon übermäßig idiomatisch klingende Artikulation, als wolle der Sänger französischer klingen als ein Franzose, was eigentlich kein Grund zur Kritik sein sollte. Auch das Finale ist ein Massenet-Stück, das Duett aus Manon in St. Sulpice, in dem Diana Damrau eine Manon ist, die an Charakterisierungskunst ihren wackeren Partner noch übertrifft und einfach unwiderstehlich wirkt.
Kaum noch gespielt wird Boieldieus La dame blanche, früher äußerst beliebt, vor allem die Tenorarie, die genau zu der Stimme passt, wie sie sich augenblicklich präsentiert, und es fallen dem Hörer sicherlich viele andere Opern dieses Genres ein, die kaum noch aufgeführt werden und die perfekte Partien für Beczala bieten würden. Marcello Viotti hatte sich im Venezianer Teatro Malibran dieses Repertoires angenommen und damit durchaus Erfolg gehabt.
Berlioz ist mit La Damnation de Faust und Béatrice und Bénédict vertreten, Ersterer mit einem zärtlichen, fast gehauchten „jeune fille“, Letzterer in schöner Unangestrengtheit und bruchlosem Durchmessen der Register. Für Gounods Roméo wünscht man sich ein noch jugendlicheres Timbre, für seinen Faust verfügt der Tenor über eine makellose Gesangslinie und eine ebensolche Höhe. Am Gelingen der Aufnahme und an ihrer unzweifelhaften Qualität hat mit Alain Altinoglu samt dem Orchestre de l’Opéra National de Lyon ein Kenner des Repertoires maßgeblichen Anteil (DG 479 4101)
Ingrid Wanja