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„Fra l´ombre e gl´orrori“ heißt ein Album des argentinischen Bassisten Nahuel Di Pierro bei Audax Records, das im Februar 2023 in Paris entstand (ADX 11210). Der Titel entspricht der Arie gleichen Namens aus Händels Kantate Aci, Galatea e Polifemo von 1708. Es ist dies eine der anspruchsvollsten Nummern des gesamten Bass-Repertoires wegen des geforderten immensen Stimmumfangs von über 2 1/2 Oktaven. Di Pierro meistert diese Herausforderung mit seiner sonoren Stimme, die auch in der Extremtiefe noch Wohlklang besitzt, bewundernswert, so wie er auch die Tessitura in Argantes triumphierender Arie „Sibillar gli angui d´aletto“ aus Händel Rinaldo stupend bewältigt. Sie steht am Schluss des Programms und beendet dieses bravourös. Einen Interpreten von Ausnahmeformat verlangt auch Claudios Arie „Cade il mondo“ aus Händels Agrippina mit ihren orgelnden tiefen Tönen und großen Sprüngen. Ein weiterer Beitrag aus Händels Oeuvre stammt aus Orlando. Es ist die mit Koloraturen gespickte Arie des Zauberers Zoroastro „Sorge infausta una procella“, in welcher Di Pierro sein virtuoses Vermögen beweist. Mit ihr ergibt sich ein interessanter Vergleich zu Vivaldis gleichnamiger Oper, aus der Di Pierro allerdings eine Arie des Titelhelden („Ah sleale, ah spergiura“) ausgewählt hat. Es ist eine spannungsgeladene Wahnsinnsszene von deklamatorischem Charakter, weil Orlandos angebetete Prinzessin Angelica sich dem heidnischen Soldaten Medoro zugewandt hat. Von Vivaldi gibt es zudem die dramatisch aufgewühlte Arie des Tito Manlio „Se il cor guerriero“ aus dem gleichnamigen Dramma per musica. Ähnlich anspruchsvoll, was den geforderten Stimmumfang betrifft, ist die Arie des Titelhelden „Occhi belli“ aus Giovanni Bononcinis Il ritorno di Giulio Cesare, in der er Calpurnia, seiner letzten Ehefrau, eine überschwängliche Liebeserklärung macht. Der Sänger lässt hier eine ganz sanfte, schwärmerische Stimme hören.
Das Programm des Albums umfasst das Repertoire für die Bass-Stimme von den Anfängen der Oper bis zu ihrer Blüte im Hochbarock, also um die 100 Jahre. Es beginnt – nach dem instrumentalen Einstieg mit der Sinfonia aus Michelangelo Rossis Erminia sul Giordano – mit Senecas Abschiedsszene „Amici, è giunta l´ora“ aus Monteverdis Poppea. Der Philosoph ist die erste große Bass-Partie der Oper und der Sänger überzeugt hier mit großer Autorität. Auch Francesco Cavallis Ercole amante stammt aus den Anfängen des Genres. Die Arie des Titelhelden „Ma qual pungente arsura“ zeigt ihn kurz vor seinem Selbstmord, weil er, um Schmerzen zu entgehen, ins Feuer springt. Die existentielle Situation der Figur schildert der Interpret mit intensiver Klangrede ungemein plastisch.
Die insgesamt 13 interpretierten Szenen stammen auch von weniger bekannten Komponisten wie Antonio Sartorio (La Prosperità di Elio Seiano), Marc´Antonio Ziani (Alba Soggiogata da´Romani) und Antonio Giannettini (L´ingresso alla gioventù di Claudio Nerone). Einige davon sind Weltersteinspielungen.
Zudem enthält die Anthologie mehrere Instrumentalstücke (aus Zianis Il duello d´amore e di vendetta, Bononcinis Giulio Cesare und Alessandro Scarlattis La caduta de´ decemviri), in denen das klangschön begleitende Ensemble Diderot unter Leitung des Geigers Johannes Pramsohler von kammermusikalischer Durchsichtigkeit bis zu barocker Prachtentfaltung brilliert. Bernd Hoppe