Dmitri Schostakowitschs 1969 komponierte und Benjamin Britten gewidmete vierzehnte und somit vorletzte Sinfonie gehört gewiss nicht zu den am leichtesten zugänglichen Werken des sowjetischen Komponisten. Sie ist mehr ein Liederzyklus denn eine Sinfonie. Angelegt für ein kleines Streichorchester mit Perkussionsinstrumenten, mit einer Sopranistin sowie einem Bassisten besetzt, hat sie unter seinen fünfzehn Sinfonien kein Äquivalent. Der Tod ist das alles umspannende Thema der insgesamt elf Lieder mit Texten von Federico García Lorca, Guillaume Apollinaire (einmal mit Bezug auf Clemens Brentano), Wilhelm Küchelbecker und Rainer Maria Rilke. Das Zentrum bildet der in sechs der Lieder bemühte französische Dichter Apollinaire, der gleichsam von den übrigen eingerahmt wird. Die atheistisch-pessimistische Grundhaltung des Werkes, das keine Erlösung kennt, führte zum Bruch mit dem tiefgläubigen Literaturnobelpreisträger Alexander Solschenizyn. An großen Aufnahmen herrscht trotz des schwierigen Sujets kein Mangel. Bereits die in Anwesenheit des Komponisten mitgeschnittene Welterstaufführung vom 21. Juni 1969 mit Margarita Miroschnikowa und Jewgeni Wladimirow unter Rudolf Barschai zählt zu den überzeugendsten Darbietungen. Die 1973 entstandene Aufnahme mit Galina Wischnewskaja und Mark Reschetin unter Mstislaw Rostropowitsch steht im Rufe, die Referenzeinspielung zu sein. Bei beiden handelt es sich um waschechte sowjetische Produktionen, denen eine in dieser Form nicht mehr erreichbare Authentizität anhaftet.
Dass es gleichwohl noch Raum für moderne Interpretationen gibt, hat der griechische Dirigent Teodor Currentzis bewiesen (Alpha 159). Mit Julia Korpatschewa und Pjotr Migunow stehen ihm zwei ausgezeichnete, mit dem entschlackten Konzept von Currentzis harmonierende Solisten zur Verfügung. Migunow liegen sowohl die gespenstischen Momente (so im einleitenden De profundis) wie auch die verzweifelten (Im Kerker der Santé) und die expressiven Ausbrüche, in denen er voll aus sich herausgehen kann (in der Antwort der Zaporoger Kosaken an den Sultan von Konstantinopel). Korpatschewa mag vielleicht nicht das Stimmvolumen der Miroschnikowa und Wischnewskaja aufbringen, doch beeindruckt ihre himmlische Tongebung (interessanterweise gerade in Der Selbstmörder). Sie beweist zugleich, dass eine leichtere Stimme kein Leichtgewicht sein muss. Auch die gemeinsam vorgetragenen Stücke (so besonders die aufgelöste Stimmung in der Loreley) wissen zu fesseln. Currentzis erfindet das Werk nicht neu, doch kommt das präzise und zugleich beseelte Spiel seines Ensembles MusicAeterna der vierzehnten Sinfonie sichtlich zu Gute. Die durch den vibratoarmen Klang des Orchesters erzielte unverfälschte Klarheit unterstützt geradezu den Rückbezug auf die Alte Musik, aus der Currentzis und die Seinigen kommen. Insofern ist die spätmittelalterliche russische Ikone des Erzengels Michael von Andrei Rubljow auf dem Cover der CD durchaus passend. Zurück zu den Anfängen.
Dem informativen Begleittext zufolge handelt es sich bei der Vierzehnten um die atheistische Antwort auf Brittens War Requiem. Den Charakter einer „Requiem-Sinfonie“ kann man tatsächlich nicht ganz von der Hand weisen. Jenseits aller Spekulationen kann ergänzt werden, dass die exzellente Klangqualität den tadellosen Eindruck unterstützt, den diese Produktion hinterlässt. Das ist Schostakowitsch für das 21. Jahrhundert. Es bleibt zu hoffen, dass dies kein einmaliger Ausflug des exzentrischen Griechen in dieses Repertoire bleibt. Daniel Hauser