Vieles an Rossinis Eduardo e Cristina ist ungewöhnlich. Schon der Ort, das Königliche Schloss in Stockholm, will so gar nicht in die Reihe von Rossinis sonstigen Opernschauplätzen passen. Vielleicht versetzten die Librettisten Andrea Leone Tottola, der kurz zuvor für Ermione verantwortlich war, und Gherardo Bevilacqua-Aldobrandini die Story (nach Giovanni Schmidt Odoardo e Cristina) auch an einen Ort, der Rossini als das nördliche Ende der Welt vorkommen musste, um zu verschleiern, dass die im April 1819 am Teatro San Benedetto in Venedig uraufgeführte zweiaktige Seria aus bestehendem Material zusammengeflickt war: aus Adelaide di Borgogna (Rom 1817), Ricciardo e Zoraide (Neapel 1818) und der kurz zuvor erfolglos uraufgeführten Ermione (Neapel 1819). Dazu ein paar rasch geschriebene Nummern und Rezitative, alles passend, um der Tochter des Impresarios ein glänzendes Debüt zu bereiten. Auch das Libretto war im Grunde solch ein Fleckerlteppich: das heimlich verheiratete Ehepaar Cristina und Eduardo, sie die Tochter des Königs, er General der schwedischen Armee, entstammt dem Typ des bürgerlichen Trauerspiels, der heroische Teil der Geschichte, Eduardos erfolgreicher Kampf gegen die Russen, der den schwedischen König Carlo dazu bewegt, dem Paar zu vergeben, entspricht der Tradition der Heldenoper à la Tancredi; auch in Eduardo und Cristina sind der Krieger Eduardo mit einem Kontraalt, der Vater mit einem Tenor besetzt.
Zwei Jahrzehnte feierte das Publikum Eduardo e Cristina. Dann wurde Eduardo e Cristina zu „Rossinis forgotten opera“. Charles Jenigan, der im Beiheft zur Neuaufnahme auf die Praxis des Pasticcios eingeht – er verwendet weitgehend den Begriff centone – bemerkt richtig, Eduardo e Cristina „is perhaps the last centone by a major composer, written just before Romanticism made a work like it impossible“. Eduardo e Cristina sei die letzte der Opern Rossinis, die in neuerer Zeit wieder auf die Bühne gelangte (1997 Bad Wildbad) und selbst das Rossini Opera Festival in Pesaro hat bislang einen Bogen darum gemacht. „Rossini in Wildbad“ stellt das heldische Pasticcio im Juli 2017 neuerlich konzertant vor; der Mitschnitt von 1997 unter Francesco Corti erschien bei Bongiovanni.
Mit der Neuaufnahme aus der Trinkhalle in Bad Wildbad fügt Naxos (2 CDs 8.660466-67) seinem Rossini-Katalog einen weiteren Baustein zu. Gianluigi Gelmetti leitet eine einerseits breit würdevolle, dennoch sehr vitale Aufführung, formt das „Best of“ geradezu lustvoll aus und treibt Chor, Orchester (die Virtuosi Bruenensis und den Camerata Bach Chor aus Posen) und Solisten zu einer spannend und dichten Aufführung an. Unkundige werden zunächst mit dem anfangs dünn wirkenden Klang des Orchesters, der vom Chor holzschnittartig intonierten Introduzione und der nicht ausgewogenen Balance fremdeln. Doch rasch packt Gelmettis Elan. Die gesanglichen Leistungen sind befriedigend. Man ist immer wieder überrascht, wie kompetent die Wildbader Primadonna Silvia Dalla Benetta sich die entlegensten Partien aneignet und ihnen ein Gesicht verlieht. Ihr Ton ist streng, ein bisschen fordernd, das Timbre keinesfalls verführerisch, sie singt aber stil- und gestaltungssicher, vor allem dramatisch. Als schwedischer General muss sich Laura Polverelli kräftig ins Zeug legen, ihr Eduardo wirkt wie Cristinas kleiner Bruder, wobei sie auf der CD vorteilhafter als live klingt. Immer geschmackvoll und mit schönem Timbre singt Kenneth Tarver den König Carlo, währen Baurzhan Anderzhanov leer ausgeht und als schottischer Prinz Giacomo weder die Hand der Prinzessin noch eine Arie bekam. Es gibt keine bessere Alternative! Rolf Fath