Die Sinfonia, die nahtlos in den Chor der Soldaten und Bevölkerung in der nubischen Hauptstadt Dongala mündet, ist von dunklem Ernst und instrumentaler Lieblichkeit im Solo der Flöte, feierlich und pompös, mit sanften Melodien, starken Akzenten und Finesse und einem wirkungsvollen Kontrast aus Orchesterspiel und Bühnenmusik. José Miguel Pérez-Sierra dirigiert die Szene in Rossinis Ricciardo e Zoraide, die wirkungsvoll in das Geschehen blendet, mit eindringlicher Bildhaftigkeit, wobei ihm die Virtuosi Brunensis als williges Instrument dienen. Wir befinden quasi inmitten einer kriegerischen Auseinandersetzung zwischen dem nubischen König Agorante und dem asiatischen Fürsten Ircano, der Agorantes Zorn vor allem dadurch entfacht, dass er ihm die Hand seiner Tochter Zoraide verweigerte. Im folgenden Kampfgetümmel trifft Zoraide auf den christlichen Ritter Ricciardo, beide verlieben sich, sie folgt ihm. Der enttäuschte Vater macht sich auf die Suche nach der Tochter, die Agorante inzwischen samt ihrem Liebhaber festgesetzt hat. Das alles erzählt Agorante in der sich anschließenden Szene, die weniger einen Kriegsherrn als Liebenden zeigt, der Zoraide zu erringen hofft.
In der konzertanten Aufführung bei Rossini in Wildbad im Juli 2013 (und jetzt erst bei Naxos herausgegeben, warum hat es mit dem SWR-Band so lange gedauert?) erscheint Randall Bills als neuer Name auf dem Feld des draufgängerisch geschmetterten, verzierten Schöngesangs, der sich hier vor allem als Liebender mit einer in der Höhe strahlenden Sicherheit und ebenmäßigen Tonqualität zeigt. Das ist ein feuriger vokaler Auftakt, der zeigt, dass die fünfte der neun für Neapel geschriebenen Opern Rossinis möglicherweise mehr Aufmerksamkeit verdient hätte. Pesaro hat Ricciardo e Zoraide immerhin 1990 und 1996 gespielt, ohne große Folgen allerdings, und wird die Kreuzfahrergeschichte in diesem Sommer wiederholen. Mit den Aufnahmen aus Pesaro sowie mit der Opera Rara-Einspielung muss die Wildbader-Aufführung konkurrieren (Naxos 3 CD 8.660419-21), was ihr in großen Zügen recht gut gelingt. Die ungnädig scharfstimmigen Vertrauten der Zoraide muss man überhören. An die soubrettige Zoraide der Alessandra Marianelli muss man sich erst gewöhnen. Sie dunkelt ihren leichten Sopran ein und macht ihn schwer und bleibt als Objekt der Begierde recht unbedeutend, so im wunderbaren, sich zur Stretta steigernden Terzett „Cruda sorte“, in dem Agorante seiner Gattin Zomira klar macht, dass sie sich mit Zoraide als Nebenfrau abzufinden habe, wie im ersten Finale, aus dem sie mit nadelspitzer Schärfe hervorsticht, bis sie im Duett mit Ricciardo im zweiten Akt mit Nachdruck agiert und in ihrer Gran Scena im zweiten Finale Anzeichen primadonnenhaften Glanzes zeigt. Den Ricciardo kreierte Giovanni David, der an fünf von Rossinis neapolitanischen Uraufführungen mitwirkte im Gegensatz zu dem an allen neun Neapel-Opern beteiligten Andrea Nozzari, der den Agorante gab. Maxim Mironov singt den Ricciardo, dem Artavaszd Sargsyan ein sympathischer Begleiter Ernesto ist, mit federleichter Beweglichkeit und verführerischer Verzierungen, etwas blass im Timbre und in den näselnd verengten Höhen nicht sehr vorteilhaft, aber in der Cavatina „Qual sarà mai la gioja“ mit lustvoller Eleganz. Im attraktiven, aber nicht wirklich zündenden Duett „Come potrò reprimere“ mit Agorante, der dem verkleideten Ricciardo, seine Liebe zu Zoraide gesteht, vermischt sich Mironovs hell trompetender mit Bills’ satterem Tenor zu lieblicher Wirkung. Silvia Beltrami als abservierte Zomira in „Più mi sente quest’ alma dolente“ und Nahuel Di Pierro als Zoraides Vater Ircano im Quartett sind solide Stützen der Aufführung.
Ricciardo ist so etwas wie der kleinere, nicht weniger edle Bruder des edlen Kreuzritters Rinaldo, den es in wirrenreiche Ereignisse um andere Kreuzritter, heidnische Zauberinnen und Magier, entführte Prinzessinnen und unversöhnliche Konkurrentinnen verschlug, wie es ab Beginn des 16. Jahrhundert Ariost in seinem Orlando furioso und ein halbes Jahrhundert später Tasso in seinem Befreiten Jerusalem in kunstvoll verschachtelten und verschlungenen Erzählungen vorgaben. Diese Form der italienischen Helden- und Ritterepen fand erst mit dem 1738 erschienenen heroisch-komischer Ricciardetto des im Vergleich mit seinen Vorgängern kaum noch bekannten Niccolò Forteguerri ein Ende. Die mit einem gewissen Beharrungsvermögen ausgestattete Oper sagte den ritterlichen Stoffen allerdings erst im ersten Viertel des 19. Jahrhunderts Ade. Rossinis Ricciardo e Zoraide von 1818 ist solch ein solcher Abgesang auf die Opernschablonen und die Stoffe des vorigen Jahrhunderts, wenngleich er sich von den zwei Gesängen, die ihm sein Otello-Librettist Marchese Berio di Salsa aus dem Ricciardetto kompiliert hatte, nur bedingt inspirieren ließ: fast noch barock in der stereotypen Beharrung auf die dreiteiligen Formen, meisterhaft in der Beherrschung des Handwerks, weiträumig, kunstvoll, aber keineswegs wagemutig und neuartig und durchaus in den lange Rezitative ein wenig langweilig. Ricciardo e Zoraide, so der große Rossini-Apologet Philip Gossett zurückhaltend, „ is not among his best“. Die Aufnahme aus Bad Wildbad versucht die in der Zeit nach Karl dem Großen spielende Liebeszwist zwischen dem afrikanischen König Agorante und dem christlichen Paladin Ricciardo, die zu den Waffen greifen, um die Hand der asiatischen Fürstentochter Zoraide zu erringen, die großen Gefühle und das Minimum an Handlung griffig umzusetzen. Rossini und sein Librettist haben das in nur vier Arien, zuzüglich dreier Duette, einem Quartett sowie einigen Ensembles und den großen Choraktionen abgehandelt, wofür Rossini einen eigenen, pompösen, festlich offiziellen Ton von müdem Glanz findet, der gleich in der Ouvertüre in der aparten Wechselwirkung mit der von ihm erstmals benutzen „Banda di palco“, also der Bühnenmusik, anklingt. Gerade diese plastischen Raumwirkungen erscheinen in Opera Rara-Aufnahme vorteilhafter gelöst, den großen Chortableaux, sei im ersten Finale oder in der Gran Scena e Finale secondo, fehlt es an Aplomb, doch die beiden Tenöre machen den Ricciardo hörenswert. Rolf Fath
Vielleicht noch ein Wort zu weiteren Dokumenten: Leider verlief der Versuch Riccardo Chaillis, diese Oper in Pesaro in der glanzvollen Pizzi-Produktion mit Bruce Ford, Gloria Scalchi und anderen für die Decca 1990 aufzunehmen im Sande, nur ein RAI-Mitschnitt erinnert an die wirklich gelungene Aufführung, auch wenn man sich über die Mitwirkung von June Anderson streiten mag. Aber es ist ein Jammer, dass der RAI-Film nicht kommerzialisiert wurde. Immerhin wurde er vor kurzem wieder bei RAI 5 gezeigt und bestätigte die guten Erinnerungen, die man an ein glanzvolles Pesaro jener Jahre hatte. Auch die Alternative der zweiten Besetzung in Pesaro 1996 mit Charles Workman und Rita Taliento neben Marianna Pentchava war trotz David Parry beachtenswert. Die Opera-Rara-Aufnahme von 1996 leidet unter eben Parrys lastenschwere Hand, die nichts vom Boden hochkommen lässt. Und William Matteuzzi ist nicht mehr in bester Form, Nelly Miricioiu zu viel hochindividuelle Diva und zu wenig Ensemblemitglied. Selbst Kunde klingt in Pesaro sechs Jahre zuvor freier. Wer also kann, sollte sich um die TV-Aufnahme aus Pesaro kümmern, trotz der mauligen June Anderson. Chailly versieht das etwas spröde Stück mit magischem Glanz. G. H.