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Über Rutland Boughton gibt es im deutschen Sprachraum wenig Information (am ehesten noch über seine Oper The Immortal Hour (es gibt eine Aufnahme vom 1999 bei Hyperion und einen älteren BBC-Mitschnitt), der englische Komponist und Schriftsteller (1878-1960) mit der Neigung zum Mythisch-Mystischen musste Zeit seines Lebens um Anerkennung kämpfen und galt als Champion einer künstlerisch-folkloristischen Bewegung, die ihren Sitz im Glastonbury Festival im Norden Englands hatte.
Er war aber auch politisch außerordentlich engagiert, stand der Kommunistischen Partei nahe und engagierte sich für die Rechte der Arbeiter, namentlich der Grubenarbeiter, was seine gesellschaftliche Position im postviktorianischen England nicht leichter machte, zumal sein stürmisches Privatleben seinem Ansehen nicht eben dienlich war. Boughtons Musik steht in der Wagnerfolge, was der große Wagnerianer George Bernhard Shaw anerkannte und förderte. Boughtons Festival-Idee griff die auch auf dem Kontinent, namentlich in Deutschland, herrschende Strömung auf, Musik und Kunst für alle zugänglich machen zu wollen, wie das Strömungen auch in Darmstadt, Berlin, Leipzig oder Worpswede propagierten. Mit den Künstler Kollegen Reginald Buckley und Christina Walshe bemühte er sich um eine solche Spielstätte um den ersten Weltkrieg herum, eben Glastonbury (das in Marion Zimmer Bradleys Kultroman The Mists of Avalon so eindringlich als Überschneidungort der alten und neuen Religion zitiert wird) . Bis 1927 gab es hier neben Gluck, Purcell, Blow und anderen eben vor allem die Werke Boughtons, so die Immortal Hour, die zur Säule des Festivalangebotes wurde.
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Boughtons schlichte, verbal einfache Wiedergabe keltischer Mythen und seine leicht fassliche Wiedergabe der ewigen Geschichte von Liebe und Tod als Parabel des Universellen erreichte viele Menschen. Neben dem Krippenspiel Bethlehem gilt aber unter Kennern die Queen of Cornwall von 1924 (Glastonbury) als das zentrale Werk, das in einer Erstaufnahme bei Dutton herausgekommen ist. Grundlage ist ein Stück von Thomas Hardy von 1923. Wie Michael Hurd (in Pipers Opernenzyklopädie, Band 1) schreibt, ist diese Musik leidenschaftlich und hochromantisch (vielleicht eher spätromantisch), wenngleich der Einfluss des Volksliedes nicht zu überhören ist. Der Chor, ein wichtiges Stilmittel in mythisch angehauchten Werken dieser Art, bleibt nicht handlungsarm-kommentierend wie ein Chor bei Gluck (oder auch Wagner) zum Beispiel, sondern nimmt am Geschehen teil und unterstützt das Orchester. Ouvertürelos bei Beginn, stellte Boughton später eine Einleitung voran. Spätere Aufführungen gab es in Liverpool und London (1963). Die BBC gab eigene Konzertaufführungen davon 1935 und 1950.
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Die Queen of Cornwall handelt von dem Schicksal der leidenschaftlichen Iseult, die nach vergeblicher Suche nach dem verwundeten Tristram in Britannien (das Ganze spielt in mythisch-keltischer Zeit in Cornwall) in ihr Reich zurückkehrt. Ihr Mann König Marke denkt sich sein Teil, glaubt aber ihrer Versicherung, Tristram sei tot, wie es Tristrams Frau, Iseult Weisshand, berichtet hat (Die Story folgt hier der keltischen Sage und nicht Wagners Verbiegung der Überlieferung – Tristram heiratete Iseult Weisshand als Ersatz für Isolde, die er wegen ihrer Heirat mit Marke, seinem Lehnsherrn, nicht bekommen konnte.). Verzweifelt trauert Iseult (die von Cornwall, zweimal Iseult ist wirklich verwirrend), da ertönt das Lied eines Harfners unter dem Fenster – Tristram! Im zweiten Akt beschwört die dem Tristram nachgereiste Ehefrau Iseult Weisshand ihren Mann, wieder mit nach Hause zu kommen, da ersticht der eifersüchtige Marke seinen Rivalen. Iseult (Markes Frau) dolcht nun ihrerseits ihren Mann und stürzt sich vom hohen Schloss aus in die tobende cornische See. Iseult Weisshand wirft sich klagend über die Toten, während ein Chor hinter der Bühne die ewige Liebe des zum Himmel aufsteigenden Paares besingt – (fast) alles tot!
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Dieses nicht nur für Großbritannien wichtige spätromantische Werk ist in einer Studio-Produktion von 2010 bei Dutton erschienen. Unter Richard Corp am Pult des New London Orchestra und der Mitglieder des London Chorus singt eine wirklich beachtliche Equipe englischsprachiger Sänger – Heather Shipp ist die Titelheldin, Joan Rogers ihre Rivalin, Jacques Imbrallo der stimmstark- leidende Tristram und Neal Davies der betrogene Marke. Das Libretto liegt bei, ebenfalls ein sehr kluger Aufsatz zu Werk und Entstehung von Paul Adrian Rooke (alles English only und sehr insular!).
Besonders wertvoll wird diese Ausgabe durch die beigefügten Fotos vom Premierendurchlauf in Glastonbury, die der Rutland Boughton Music Trust herausgerückt hat und die über die Zeit hinweg die Würde der Aufführung und das immanente Pathos des Werkes evozieren. Zur Kenntnis der spätromantischen Musik in Großbritannien ist dies eine unverzichtbare CD-Ausgabe, die aber auch sehr spät den bedeutenden englischen Komponisten würdigt. Geerd Heinsen
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Rutland Boughton: The Queen of Cornwall – A music-drama based on the play by Thomas Hardy mit Heather Shipp (Queen Iseult), Joan Rodgers (Iseult of Brittany, the Whitehanded), Jacques Imbrailo (Sir Tristram), Patricia Orr (Brangwain), Neal Davies (King Mark), Peter Wilman (Sir Andret), Elizabeth Weisberg (Damsel); New London Orchestra, Members of The London Chorus, Ronald Corp; Dutton 2CDLX 7256/ Foto oben: Edmund Leighton „The end of the song“, 1902/ Wikipedia
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Eine vollständige Auflistung der bisherigen Beiträge findet sich auf dieser Serie hier.