Tempi passati

 

Beinahe noch nachträglich traurig stimmt die Erinnerung an das Galakonzert zum fünfzigjährigen Berliner Bühnenjubiläum von Plácido Domingo kürzlich in der Staatsoper/Schiller Theater, vergleicht man seine angestrengte Leistung mit der des unbeschwert aus dem Vollen schöpfenden jungen Tenors, der 1975 an Covent Garden einen in jeder Hinsicht strahlenden Riccardo in Verdis Ballo in Maschera an der Seite von Katia Ricciarelli und Piero Cappuccilli gab.  Wie nun auf Opus Arte DVD zu sehen ist.

Jürgen Rose schuf die recht provinziell wirkende Bühne, das schwedische Schloss ohne Glanz und einen Galgenberg ohne Grauen, ist wohl auch für die im letzten Bild allzu knallbunten Kostüme verantwortlich, Otto Schenk inszenierte den Chor für die damalige Zeit erstaunlich differenzierend, die Solisten scheinen sich eher auf Opernstandardgesten zu verlassen.

Domingo glänzt durch sein leidenschaftliches Spiel, ist als Silvano charmant frech und sein Tenor ist so strahlend am Schluss des ersten Bildes wie elegant geführt in der Canzone oder rauschhaft mit kräftigen Farben prunkend im Invan tu celi Amelia. Im Liebesduett übertrifft er seine Partnerin bei weitem an leidenschaftlichem Ausdruck, und nur die Intervallsprünge in die Tiefe fallen etwas aus dem kostbaren Rahmen. Katia Ricciarelli hatte durch falsche Rollenwahl zu dieser Zeit bereits etwas von ihrem wunderschönen elegischen Timbre eingebüßt, aber ihre Piani sind noch immer bewundernswert, die zweite Arie Morrò ma prima liegt ihr weitaus besser als die erste, aber im Vergleich zu Domingo klingt sie oft zu geschmäcklerisch, zu sehr säuselnd. Zwar  räumt Piero Cappuccilli nicht wie in Wien neben Pavarotti bereits mit seiner ersten Arie ab, aber sein reiches Material, seine Superfermaten (patria), seine auftrumpfende Vendetta, nicht zuletzt sein Piano am Schluss der ersten Arie verfehlen ihre Wirkung nicht – das Wunderbare ist, dass man bei ihm nie zittern muss, einfach nur genießen kann. Putzig zwitschert Reri Grist ihren Oscar, kann das Ensemble am Schluss des zweiten Bildes überstrahlen. Eine beeindruckende Haltung hat Elizabeth Bainbridge für die Ulrica, leider klingt sie oben schrill und unten grummelnd. Wie erstickt hört sich die Stimme von William Elvin als Cristiano an, bereits damals imposant klingt Gwynne Howell als Ribbing.

Ein ganz großes Plus ist der junge Claudio Abbado am Dirigentenpult, Rauschhaftes ist aus dem Orchestergraben beim Liebesduett zu hören, er ist der Garant für das Hörbarmachen der Eleganz der Partitur und  ihres elegischen Grundcharakters. Leider kann man die englischen Untertitel nicht ausschalten, solche in anderen Sprachen gibt es nicht (Opus Arte 1236D).

 

Eine wahre Kostümorgie (Michael Stennett) feierte Covent Garden mit Donizettis Lucrezia Borgia in der Regie von John Copley, und welche Diva könnte diese Wunderwerke der Theaterschneiderei  besser oder überhaupt zur Geltung bringen als Joan Sutherland?! Dazu trägt sie einander sich an Üppigkeit überbietende Frisuren und den jeweils dazu passenden Kopfputz, hat eine wahrhaft königliche Haltung und eine fast unbewegliche Miene. Das alles scheint sie nicht zum Ideal einer liebenden und leidenden Mutter zu machen, doch alles, was die Optik nicht hergeben will, wird im Gesang in Überfülle geboten: eine Superhöhe, eine unerhörte Breite von Variationsmöglichkeiten in der Farbgebung, des chiaro-scuro, der morbidezza, kurzum, eine Lektion in Belcanto. Ähnlich verhält es sich mit Alfredo Kraus als Gennaro, der über wenige Gesten, aber über unendlich viele Ausdrucksmöglichkeiten der Stimme verfügt, die elegant und stilsicher geführt wird,  auch wenn manch ein Zuhörer den Tenor als zu grell und trocken empfinden mag. Eher wie Boris Godunov als wie Alfonso d’Este wirkt  Stafford Dean dunkel dräuend und auch optisch ein rechter Finsterling. Sehr charmant, aber eher weiblich gibt Anne Howells einen Orsini geschmeidigsten Mezzosoprans, einen meckernden Charaktertenor setzt  Francis Egerton für den Alfonso-Getreuen Rustighello ein, so wie das Gefolge des Gennaro zwar optisch ideale Bilder von Renaissance-Jünglingen bietet, aber vokal eher schwächelt. Natürlich waltet am Dirigentenpult Richard Bonynge seines balcantokundigen Amtes mit einer dramatischen Sinfonia und einem hochsensiblen Vorspiel zur zweiten Szene des zweiten Akts.

Ohne diese beiden DVDs hat man für die junge Generation kaum Maßstäbe für das, was Verdigesang  (Cappuccilli) oder Belcanto (Sutherland, Kraus) sein können. Der ältere Opernfan ist zur Miesepetrigkeit beim Vergleich mit den meisten heutigen Sängern verdammt (Opus Arte 1237 D). Ingrid Wanja