An Einspielungen von Händels Opera seria Rinaldo besteht kein Mangel auf dem Musikmarkt. Die italienische Firma HDB SONUS wagt es dennoch, eine Neuaufnahme herauszubringen (HDB-AB-OP-001, 2 CD). Sie entstand im Januar 2019 im Teatro Sociale d Como als Montage aus zwei live mitgeschnittenen Vorstellungen. Der Dirigent Ottavio Dantone verwendet die Edizione critica von Bernardo Ticci, welche die beiden Londoner Fassungen von 1711 und 1731 nutzt. Letztere bezog ihre Änderungen vor allem wegen der Übernahme der Titelpartie durch den gefeierten Kastraten Senesino, dessen Stimme tiefer positioniert war als die des Interpreten der Uraufführung, Nicolini. Deshalb transponierte Händel de Titelrolle um einen Ganzton. In der (gekürzten) Neuaufnahme wurde sie der französischen Altistin Delphine Galou anvertraut, die auf das barocke Repertoire spezialisiert ist. Die Stimme ist von androgynem Reiz, zuweilen streng (wie in der Auftrittsarie „Ogni indugio“), absolviert aber die drei Soli am Ende des 1. Aktes überzeugend; „Cara sposa“ und „Cor ingrato“ mit schmerzlichen Klagetönen sowie das Bravourstück „Venti, turbini prestate“ mit fiebrigem Ausdruck und souveräner Beherrschung der Läufe. Auch in „Or la tromba“ am Ende der Oper sorgt die Interpretin noch einmal für einen bravourösen Moment.
Die zentrale Sopranpartie des Werkes, in der zweiten Fassung immerhin von der berühmten Anna Strada wahrgenommen, ist Almirena, für die Händel mit „Lascia ch’io pianga“ eine seiner schönsten Arien komponiert hat. Sie führt sich aber zunächst mit dem forschen Solo „Combatti da forte“ ein. Die Italienerin Francesca Aspromonte formuliert es mit energischem Zugriff, wirkt im Fluss der Koloraturen allerdings etwas schwerfällig und bei gehaltenen Tönen larmoyant. Danach folgt das liebliche, vom Zwitschern der Vögel reizvoll umspielte „Augelletti“, welches ihr ansprechender gelingt und in dem auch der begleitende Flötist Gregorio Carraro brilliert. Im munteren Duett mit Rinaldo, „Scherzano sul tuo labbro“, harmoniert ihr Sopran perfekt mit dem Alt der Galou. Im 2. Akt dann die berühmte Nummer, die hier zunächst fast stockend ertönt, im Da capo durch originelle Verzierungen aufhorchen lässt. Auch das muntere „Bel piacere“ im 3. Akt ist ein Zugstück der Partie und es empfängt hier die gebührende Wirkung.
Eine weitere und sehr dramatische Sopranpartie gehört der Zauberin Armida, in der Anna Maria Sarra zu hören ist. Sie hat mit dem furiosen „Furie terribili“ ein spektakuläres Entree, das sie mit Aplomb angeht und die Spitzentöne furchtlos nimmt. Diese klingen freilich recht grell und das Timbre ist nicht sonderlich bemerkenswert. „Vo’ far guerra“ am Ende des 2. Aktes führt sie technisch deutlich an die Grenze. Beide Sopranistinnen übernehmen in dieser Aufnahme auch den zauberhaften Gesang der Due sirene „Il vostro maggio“.
Den Goffredo, bei der Uraufführung eine Altistin, später ein Tenor, singt hier einer der renommierten italienischen Countertenöre, Raffaele Pe. Ihm fällt mit „Sovra balze scoscesi“ das erste Solo des Werkes zu. Die Stimme ist klangvoll, auch in der exponierten Lage, gefällt in der Arie zu Beginn des 2. Aktes, „Siam prossimi al porto“, durch den empfindungsstarken Vortrag und in „Mio cor“ durch den entschlossenen Zugriff.
Die beiden Bassisten Luigi De Donato als Argante und Federico Benetti als Mago cristiano komplettieren die Besetzung. Vor allem Ersterer trumpft mit dem pompösen „Sibillar gli angui d’Aletto“ mächtig auf und hat auch im 2. Akt bei „Basta che sol tu chieda“ einen attraktiven Auftritt.
Dantone setzt mit seiner Accademia Bizantina prägnante Akzente, gibt der einleitenden Ouverture und dem Prelude am Ende des 1. Aktes sowie der Sinfonia im 3. Akt rhythmisch straffe Kontur, begleitet die Arien sehr farbenreich und sorgt am Ende bei der Battaglia mit auftrumpfender Verve für einen effektvollen Ausklang. Bernd Hoppe