Kaum eine mythologische Figur wurde so oft in Töne gesetzt wie der Sagen umwobene Sänger Orpheus. Als Orfeo errang er in Kompositionen von Monteverdi. Telemann, Graun, Gluck, Bertoni und Haydn klingende Unsterblichkeit. Auch dem italienischen Tonsetzer Luigi Rossi (1598 – 1653) ist ein Werk dieses Titels zu danken. Seine tragicommedia L’Orfeo in einem Prolog und drei Akten auf Francesco Butis Libretto wurde 1647 in Paris uraufgeführt und markiert die erste speziell für den französischen Hof geschriebene Oper. Neben der bekannten Handlung um den legendären Sänger und seine Gattin Eurydike, die durch einen Schlangenbiss stirbt und von Orpheus au der Unterwelt zurückgeholt wird, gibt es hier einen weiteren Handlungsstrang: Aristeo, Sohn des Apollo, liebt gleichfalls Euridice, doch finden seine Gefühle keine Erwiderung. Um sich an Apollo zu rächen, steht Venere Aristeo bei. Diesen sang bei der Uraufführung in Paris der gefeierte Kastrat Marcantonio Pasqualini.
In der jetzt von GLOSSA auf drei CDs veröffentlichten Neueinspielung (GCD 923903), die im August und Dezember 2019 in Bolzen entstand, wird diese Partie von einem Sopran wahrgenommen. Die sanft, zuweilen gar kindlich klingende Stimme von Paola Valentina Molinari lässt aber in keinem Moment an einen männlichen Helden denken. Auch der Orfeo ist en travestie besetzt mit Francesca Lombardi Mazzulli. Ihr Sopran weckt gleichfalls keine Assoziationen an einen Heroen. Aber Orfeos Arien zu Beginn des 3. Aktes geben im Ausdruck den tiefen Schmerz ob Euridices Tod eindrücklich wieder. Das Trio der Hauptpartien komplettiert ein weiterer Sopran: Emanuela Galli als Euridice. Sie singt mit jugendlicher Stimme von lieblicher Süße. Besonders in ihrer Arie „Mio ben“, in der sie Orfeo ihrer Liebe versichert, kann sie mit Wohllaut glänzen. Als ihr Vater Endimione lässt Alessio Tosi einen weichen Countertenor hören. Er wirkt zudem als betörend singender Apollo mit. Der Counter Alesssandro Giangrande wandelt auf den Spuren von Dominique Visse und liefert ein Kabinettstück als La Vecchia – die als alte Frau verkleidete Venere, die Aristeo in ihre Pläne einweiht. Angenehm dunkle Töne bringt Mauro Borgioni als Satiro ein, ebenso Rocco Lia als Plutone. Mit Clarissa Reali als Nutrice findet sich ein weiterer Sopran, der sich durch lamentierende Effekte abzusetzen versucht, mit der Canzonetta am Ende des 1. Aktes, „Belle Ninfe“, aber auch Gefälliges hören lässt. Sie singt auch die Giunone, bei der sie mit schmerzend bohrenden Tönen aufwartet. Arianna Stornello als keifende Venere und Sara Bino als Amore komplettieren die Sopranriege, letztere mit besonders exaltiertem Gesang. Das macht die Terzette mit ihr sowie Giunone und Apollo für den Hörer zu harten Prüfungen.
Am Pult des Ensembles Allabastrina steht eine Frau – Elena Sartori. Sie kann vor allem in der Ouverture und Sinfonia sowie den Balletten die monotone Stimmung, die sich beim Anhören der Aufnahme einstellt, aufmuntern, denn die Gesangsnummern (Arie, Canzonetta, Duetto, Terzetto, Quartetto) sind durch den durchgängigen Stil des recitar cantando einförmig. Zudem sind die vorwiegend strengen Sopranstimmen zu monochrom im Klang, als dass sich die Charaktere der Figuren unterscheiden könnten. Die stärksten Eindrücke der Einspielung hinterlassen das mehrteilige, delikat musizierte Ballett im 3. Akt mit Les Passe-pieds d’Artus, Sarabande, Bourée und Bourée Figurée sowie der nachfolgende heitere Choro di Baccanti und der feierliche Choro celeste.. Bernd Hoppe