Nur neunzehn Jahre alt war Georges Bizet bei der Uraufführung seines Opernerstlings Le Docteur Miracle. Den Text lieferte Ludovic Halévy, der spätere Carmen-Librettist: Ein Offizier verliebt sich in die Tochter eines Bürgermeisters, der gegen alles Militärische ist. Deshalb gibt er sich erst als Koch aus, serviert dem Schwiegervater in spe ein verdorbenes Omelette, um ihn dann in zweiter Verkleidung als Doktor Mirakel von der angeblichen Vergiftung zu heilen. Natürlich nur unter dem Versprechen, bei Genesung die Hand der Angebeteten zu erhalten. Bei dieser Nonsense-Komödie von Oper zu sprechen ist ein bischen hochgestochen, zumal der junge Komponist den Einakter bei einem von Jacques Offenbach ausgeschriebenen Operettenwettbewerb einreichte. Bizet gewann ihn, musste sich den Preis aber mit Charles Lecocq teilen. Der blieb später bei der leichten Muse und wurde ein Meister in diesem Genre, während Bizets Weg dagegen bekanntermaßen zum großen Bühnendrama führte. Davon ist Le Docteur Miracle noch weit entfernt. Nur acht Musikstücke, einschließlich der Ouvertüre enthält die Partitur. Das Vorspiel schnurrt wie ein Spielwerk im Geiste italienischer Buffokomponisten ab und beim ersten spritzigen Ensemble – es sind insgesamt je zwei Trios und Quartette – gibt es die typischen crescendo-Steigerungen à la Rossini. Vorwiegend aber ist die Musik lyrisch grundiert, in Laurettes zärtlicher Romanze, dem charmanten Bewerbungscouplet Pasquins, dem innigen Liebesduett, aber auch in dem köstlichen Omelette-Quartett, einem kleinen Kabinettstück an subtilem Humor. Was aber den besonderen Reiz des Stücks ausmacht, ist die quirlige, delikate Instrumentierung. Dass sie gebührend zur Geltung kommt, liegt daran, mit welchem Feinschliff das Orchestre Lyrique de Region Avignon Provence unter der animierenden Leitung von Samuel Jean die Orchesterbegleitung spielt: duftig, dynamisch sublim ausbalanciert, federnd und manche Passage wie hingetupft. Die vier Solisten stehen dem nicht nach und geben ein wunderbar miteinander harmonisierendes Ensemble ab, das auch die mitunter etwas langen Dialoge so lebendig gestaltet, dass keine Langeweile aufkommt. Der Drahtzieher alias Jérôme Billy, der in gleich zwei Verkleidungen darstellerische Wandlungsfähigkeit beweisen muss, singt sich mit weichem, distinguiertem Tenor in das Herz von Laurette. Diese ist bei Marie-Bénédicte Souquet mit mädchenhaft anmutigem wie agilem Sopran bestens aufgehoben. Isabelle Druet steuert mit sattem Mezzosopran die mütterliche Farbe bei. Pierre-Yves Pruvot ist ein mit knurrigem Bass wetternder markiger Bürgermeister. Eine ausgesprochen hübsche Aufnahme, die dazu mit einem informativen Booklet ausgestattet ist. Und die die alte ORTF-Aufnahme mit der Mesplé mehr als ablöst. Wie wäre es nun mit einer Einspielung der Lecocq- Version zum Vergleich?
Karin Coper
Georges Bizet: Le Docteur Miracle mit Marie-Bénédicte Souquet (Laurette), Isabelle Druet (Véronique), Jérôme Billy (Silvio/Pasquin/ Docteur Miracle ), Pierre- Yves Pruvot (Le Podestat); Orchestre Lyrique de Region Avignon Provence, Leitung: Samuel Jean; timpani 1C1204