Im so umfangreichen wie informativen Booklet zur Doppel-CD zu Bellinis Oper I Capuleti e i Montecchi bei Glossa, live aufgenommen 2014 in Rieti, beklagt Dirigent Fabio Biondi, dass nicht auch für den romantischen Belcanto wie für das barocke und klassische (womit hier Verdi gemeint ist) Repertoire nach dem authentischen Klang, wie er zu den Ohren der Zeitgenossen gelangte, gesucht wird. Diesen strebt er mit seinem Orchester Europa Galante an, einen durchsichtigeren, kammermusikalischen Ton, wie er nicht zuletzt wegen der größeren Nähe zwischen Sängern und Orchester in den alten Opernhäusern selbstverständlich war. Hand in Hand damit ging eine genauere Beachtung der grafischen Zeichen in den Partituren, Feinheiten, denen man heutzutage nicht nur wegen des massiven Orchesterklangs, sondern auch wegen der Anforderungen, die moderne Regie an die Sänger stellt, nicht mehr gerecht werden kann. Konzertante Aufführungen wie die nicht nur in Rieti und eine originale Orchesterbesetzung sind der Ausweg aus dem Dilemma, den auch Biondi mit seinem Klangkörper gewählt hat.
Natürlich ist bei einem transparenteren Orchesterklang nicht mehr ein Mezzo-Romeo vom Kaliber einer Marilyn Horne vonnöten, aber die Wahl von Vivica Genaux ist dennoch keine glückliche, weil die Stimme zu sopranlastig und allzu leicht für die Hosenrolle ist, sich damit wenig von der ihrer Giulietta abhebt. Sie klingt ausgesprochen weiblich, ja stellenweise kokett, zu dolce und auch allzu harmlos. Als positiv ist anzumerken, dass die Intervallsprünge gut gelingen, auch wenn dann die Tiefe zu wenig präsent ist, zumindest in den Cabaletten ein kämpferischer Ton angestrebt wird und das Legato sehr schön und ausgeprägt ist. Die Giulietta von Valentina Farcas beginnt mit einem feinen Schwellton, vermag mit ihrem Timbre Charakter und Situation der Rolle gut auszudrücken, ihre Hinfälligkeit ist auf glückliche Weise gepaart mit vokaler Grazie, so im „Ah, non poss’io partir“ oder im „respiro“. Gefährlich für den Romeo wird auch im gemeinsamen Duett der Tenor von Davide Giusti, schlank, dabei durchaus viril und seine Melodien zärtlich ausspinnend, so im „È serbata a questo acciaro“. Die Höhe ist sicher, wenn auch etwas weinerlich klingend. Dumpf klingt der Capellio von Ugo Guagliardo, sonor und markant, mit viel Autorität und Wärme in der Stimme tritt der Lorenzo von Fabrizio Beggi auf. Der Belcanto Chorus unter Martino Faggiani trägt seinen Namen zu Recht (GCD 923404). Ingrid Wanja