Aufnahmen mit dem ungarischen Orfeo Orchestra unter seinem Leiter György Vashegyi und dem Purcell Choir wurden auf diesen Seiten schon mehrfach besprochen. Zumeist handelte es sich um Raritäten auf dem Musikmarkt, wie Gregor Joseph Werners Oratorium Der Gute Hirt oder Joseph Bodin de Boismortiers Ballett Les Voyages de l’Amour. Nun gibt das Label GLOSSA auf drei CDs eine weitere Einspielung heraus, welche ein nicht ganz so unbekanntes Werk in den Fokus stellt – Rameaus Tragédie lyrique Dardanus von 1744 (GCD 924010/ Note 1). Die Aufnahmen fanden im März 2020 in Budapest als Koproduktion der Orfeo Music Foundation und dem Centre de musique baroque de Versailles mit Unterstützung des Institut français de Budapest statt. Nach der alten Erato- und neueren DG-Auifnahme also die dritte des Werkes, ob das der Markt trägt?
Dardanus war – nach Hippolyte et Aricie und Castor et Pollux – die dritte von Rameaus Tragédies lyriques, die in Paris uraufgeführt wurden. Das Libretto von Leclerc de La Bruère schildert eine Liebesgeschichte zwischen Dardanus, der gegen den König der Phryger, Teucer, kämpft und dessen Tochter Iphise. Nach ihrer Verlobung mit Anténor, einem Verbündeten von Teucer, heiratet sie schließlich – mit Hilfe der Vénus – den Titelhelden.
Im Prologue loben Vénus (Chantal Santon Jeffery) und Amour (Judith van Wanroij) die Freuden der Liebe. Beide Soprane lassen im Charakter typisch französische Stimmen mit dem bekannt larmoyanten, gelegentlich säuerlichen Klang hören, was beider Duos anzuhören nicht eben leicht macht. Der Chor nimmt ihre Gesänge auf oder wiederholt sie, was dem Purcell Choir Gelegenheit gibt für einen kultivierten und akzentuierten Vortrag. Der 1. Akt schildert Iphises Konflikt zwischen ihrer Pflicht (der Heirat mit Anténor) und ihrer Liebe zu Dardanus. Judith van Wanroij formt das Air „Cesse cruel Amour“ als eindringliches Lamento mit Momenten von energischem Nachdruck. Als ihr Vater Teucer ist Thomas Dolié mit autoritärem Bariton zu hören. Ähnlich viril klingt der Bariton von Tassis Christoyannis als Anténor – in beider Duo „Mânes plaintifs“ sind sie stimmlich kaum zu unterscheiden.
Der Titelheld wird erst im 2. Akt eingeführt, wenn er den Magier Ismenor (Thomas Dolié) aufsucht, um von ihm Beistand zu empfangen, Iphise zu gewinnen. Mit Cyrille Dubois ist die Titelrolle prominent besetzt. Mit weichem, klangvollem Tenor profiliert er die Figur eindrücklich, so in seinem klagenden Air zu Beginn des 4. Aktes, „Lieux funestes“ oder dem jubelnden „Triomphe, Amour“ im letzten Akt.
Einmal mehr sorgt das Orfeo Orchestra unter seinem Dirigenten für die Höhepunkte der Aufnahme. Das inspirierte, dynamisch akzentuierte Spiel ist bereits in der munteren Ouverture oder dem stürmischen Prélude zum 2. Akt zu vernehmen. Im Prologue imponiert die Marche pour les Peuples de différentes nations mit ihrer pompösen Festlichkeit, wenn Amour Völker verschiedener Nationen einlädt, ihm zu huldigen. Besonderen Effekt macht der aufgewühlte Bruit de guerre am Ende des 4. Aktes. Wie stets bei Rameau sorgen die Tänze für hinreißende Effekte – graziöse Menuets, spritzige, rhythmisch rasante Tambourins, vitale Rigaudons pour les Guerriers, gravitätische Loures, beschwingte Contredanses und eine ausgedehnte Chaconne, mit der das Werk in gemessener Feierlichkeit endet. Für alle Stimmungen findet der Klangkörper die passenden Farben und einen spannenden agogischen Zugriff. Bernd Hoppe