Nun auch aus Bordeaux

 

Im November 2020 beabsichtigte die Oper in Bordeaux, ihre im Januar 2018 anlässlich Claude Debussys 100. Todestag von Marc Minkowski dirigierte Produktion von Pelléas et Mélisande durch Philippe Béziat wiederaufzunehmen. Der neuerliche Lockdown führte zwar zur Absage der Bühnenaufführung, rettete aber durch das Einspringen von Alpha Classics zumindest den musikalischen Teil der Produktion (Alpha 2 CDs 752). Während die Besetzung der drei Hauptfiguren gegenüber 2018 unverändert blieb, übernahm jetzt der 30jährige, ehemalige Minkowski-Assistent Pierre Dumoussaud, der bereits 2014-16 beim Orchestre National Bordeaux Aquitaine tätig war, die musikalische Leitung. Mit der Schweizerin Chiara Skerath und den Franzosen Stanislas de Barbeyrac und Alexandre Duhamel geleitet Dumoussaud eine relativ junge Equipe durch Schloss und Wälder des sagenhaften Allemonde. Weiterer Vorteil der französischen Besetzung ist deren mustergültige Diktion, die alle Nuancen von Maeterlincks Text erfasst und in einem dichten erzählerischen Fluss hält, subtil, doch nicht blutleer. „Nie ein Wort lauter als das andere“, wie es Boulez beschrieb. Gleichwohl hat der Ton der belgisch-schweizer Sopranistin genügend Körper und Intensität, um der rätselhaften Mélisande neben ihrer Fragilität Ausdruck und Kraft zu geben und dennoch das Geheimnisvolle zu bewahren. Mit strahlendem Timbre, das sich besonders schön in „Mes longs cheveux“ zeigt, gelingt der Sopranistin eine sehr überzeugende Interpretation. Ihren Pelléas kennt Skerath bereits von Laurence Equilbeys Freischütz- Projekt, wo er den Max und sie das Ännchen sang. De Barbeyracs Pelléas ist ein durch und durch aufrichtiger und ernsthafter junger Mann. Er singt, wie stets, ausgesprochen kultiviert, elegant, mit unaufdringlichem Raffinement; selbst im gehauchten Piano – wie in der Szene in der Grotte – hat sein Tenor Stehvermögen und Farbigkeit. Der Golaud gerät für meinen Geschmack etwas zu sehr zum Bösewicht aus dem Märchenbuch, da der im Lauf der fünf Akte zunehmend ernüchternde Alexandre Duhamel mit seinem robusten, bereits ausgeleierten Bariton Affekte und Eifersucht unterstreicht. Von den Nebenrollen überzeugt Jérome Varnier als Arkel, weniger Janina Baechle als garstige Geneviève und Maëlig Querré als Yniold. Theatralisch zupackend ist die ausgewogene Wiedergabe durch Dumoussaud und das Orchestre National Bordeaux Aquitaine, die die Partitur in ihrer ganzen Vielfalt und Farbigkeit analytisch präzise durchleuchten. Guter Klang, schönes französisch-englisch-deutsches Beiheft (15. 10. 2021).  Rolf Fath