Müdes Peru

 

Die Erwartungen waren groß und werden nicht erfüllt. Marc Minkowski hätte man eine rasante Périchole zugetraut, nach seinem Orphée und der Belle Hélène hätte man spritzige Parlandi und lustvolle Ensembles erwartet. Nichts wirklich davon hier. Unentschlossen im musikalischen Drive zieht sich die Geschichte bühnenrumpelnd um die moralischen Verwicklungen der  spanischen Straßensängerin dahin, nicht sonderlich interessant vorgetragen. Und man denkt, einen netten Theaterabend in Nimes zu erleben (nichts gegen Nimes). Nein, durchaus nicht: Wir sind in der Opéra nationale de Marseille, wo Minkowski  musikalischer Chef ist (wie lange?) und wo mir das das interessante Art-Decó-Haus noch von der Salammbô Reyers in angenehm in Erinnerung ist.

Immer noch unvergleichlich: Regine Crespin als Perichole…

Vielleicht ist diese freche Geschichte zu frivol für das ehrwürdige Carpo-Theater. Denn auch die Besetzung klingt eher nach Nimes als nach Marseille. Vor allem die Verkörperung der Titelpartie, die mir als Vénus im französischen Tannhäuser mit ihrem Schrei bei Rückzug in ihr habitat in Erinnerung geblieben ist, Aude Extrémo („I am not making this up“ würde Anna Russell jetzt sagen) bleibt langweilig, schwerblütig und viel zu mütterlich, eher die Patriarchin einer Zigeunerfamilie als die Tambour-schwingende gosse, die sich vor Hunger an die Männer verkaufen will. Hier hungert niemand. Und mit Frau Extrémo steht bzw. fällt nun die ganze Pikanterie, denn eine Perichole im Slow-Motion-Gang einer matronalen Carmen geht eben nicht.

Man denke an Teresa Berganza bei jüngst wieder Warner/EMI, die war auch ein Flop. Mit mehr Stimme. Und zudem eine echte Spanierin (was der Figur nichts nützte). Nein – es sind auf CD die rasante, durchaus nicht mehr junge Régine Crespin, die bei Erato/EMI ihre Zeilen unvergleichlich serviert (gestützt von einem ebenfalls in die Jahre gekommenen Alain Vanzo). Und es ist die tolle Suzanne Lafaye auf der alten EMI-Aufnahme, die genau diesen nötigen Falcon-Ton in der Stimme hat, nicht Mezzo und nicht Sopran und voller, fast wie wie zufälliger Rollengestaltung.

Und ein Muss: Suzanne Lafaye als Perichole unter Igor Markhevitch ...

Die Übrigen auf der neuen Aufnahme sind nicht unrecht. Den attraktiven Stalislas de Babeyrac hätte man gerne optisch erlebt, und sein Pequillo ist hübsch (hat aber nicht die Präsenz eines Vanzo), die übrigen sind angenehm (Alexandre Duhamel, der verdiente Eric Huchet, Marc Mauillon und viele mehr. Die Kräfte des Chéf-eigenen Orchesters Les Musiciens du Louvre bleiben unauffällig ohne den Schwung eines Markhevitch-geleiteten Ad-hoc-Orchesters im Umkreis von Aix-en-Provence. Aber ehrlich gesagt höre ich da dann lieber die alte Erato/EMI-Aufnahme unter dem Genannten, auf der uns eben diese urfranzösischen Sänger/Schauspieler wie Suzanne Lafaye, Raymond Amade  oder Christoph Benoit eine Zauberwelt an Illusion eröffnen. Wo wir ihnen glauben, was sie uns vorspielen. „Je T’adore, Si Je Suis Folle“ – singt er, wie kann sie da widerstehen? Ich auch nicht.

Pardon Maestro Minkowski, ich hab ihn immer verehrt, aber niemand kann alles. Dies hier jedenfalls nicht. Und wie mein verehrter Kollege Lührs vom rbb so richtig anmerkt: Haben wir eine Périchole wirklich im Offenbach-Jahr gebraucht? Nicht eher eine Madame Favart, eine Créole, einen Roi Carotte? Dommage, eine vertane Chance (2 CD im üblichen Buch-Format mit französisch-englischen Aufsätzen und dto. Libretto beim Palazetto Bru Zane, BZ 1036). Geerd Heinsen