.
Johann Adolf Hasses Namen verbinden wir heute fast immer mit dem Dresdner Barock. Er war dort sehr lange der führende Hofkomponist und er war berühmt für seine opulenten großen (und langen!) Opern. Jetzt finden wir ihn plötzlich ganz woanders wieder, nämlich in der Wiener Klassik. Das Label Harmonia Mundi France hat seine kleine Wiener Oper Piramo e Tispe von 1768 aufgenommen, also ein Spätwerk. Josef Haydn war da schon 36 Jahre alt, Beethoven noch nicht geboren, erst 1770. Mozart war zwölf Jahre alt.
Passt diese Oper in das übliche Bild von Johann Adolf Hasse? Eigentlich nicht, weil diese kurze Oper in jeder Hinsicht ungewöhnlich ist. Überraschend ist vor allem, dass es eben diese aufregenden Spätwerke von ihm gibt, die wir so gar nicht zur Kenntnis nehmen. Hasse ist sehr alt geworden, 84 Jahre, für die damalige Zeit eine Leistung. Er hat Mitte 60 noch diese großen Reformbewegungen der Oper erlebt, vor allem in Wien. Das fand er sehr inspirierend und hat hier eine Musik geschrieben, bei der man schon spürt, dass die Veränderungen dieser Musik-Szene in Wien ihn sehr erreichten.
Seine kleinbesetzte Drei-Personen-Oper ist so innovativ, dass er in Wien wahrscheinlich kein großes Haus dafür finden konnte oder wollte. Der Tenor des Abends war auch der Librettist. Wien als Schauplatz war Hasse neue Heimat. Er hatte diesen schrecklichen Siebenjährigen Krieg in Dresden erlebt. Dort ist sein Haus abgebrannt. Er zog nach Wien um und erlebte nun diese gluckischen Reformbestrebungen. Piramo e Tisbe ist seine Reaktion darauf. Drei Personen, eine ganz eng zusammengedrängte Handlung, ganz viele Orchesterrezitative, Accompagnato. Nicht nur Arien, sondern auch Duette. Und die Melodien sind auch konziser als in seinen vorangegangenen Opern. Oft gibt es nur wenige Verzierungen. Hasse hat Gluck nicht direkt imitiert, aber man spürt schon dessen Einfluss.

Johann Adolph Hasse (italianisiert Giovanni Adolfo, darauf basierend verbreitet auch Johann Adolf Hasse; getauft am 25. März 1699 in Bergedorf; † 16. Dezember 1783 in Venedig)/Wikipedia
Der Plot ist ja bekannt. Es geht um ein Liebespaar, dessen Vater nicht will dass sie sich kriegen. Die Familien sind verfeindet, beide Liebenden planen die Flucht. Piramo glaubt aber durch ein groteskes Missverständnis, dass Tisbe von einem Löwen gefressen wurde und bringt sich um. Die arme Tisbe tötet sich neben dem sterbenden Piramo. Sie finden sterbend zusammen. Der hinzukommende Vater ist so erschüttert, dass er sich auch ersticht. Alle tot. Alle tot! Das klingt fast wie eine Parodie. Aber das stammt von Ovid, bei dem sich auch Shakespeare bedient hat. Die damalige opera seria kannte bis aus wenige Ausnahmen keine tragischen Schlüsse. Hier nun sterben dann wirklich alle drei.
Die beiden Liebenden dieser Aufnahme sind wirklich superb, zwei Soprane übrigen. Sie hauchen sehr anrührend ihr Leben aus, fast schon wie bei Bellini später. Adieu, adieu, adieu. Ach, zum Sterben schön dieses Duett. Im wahrsten Sinne des Wortes. Es ist doch erstaunlich, dass Hasse noch in so hohem Alter diese Verwandlung oder diese so sinnliche Wandlung mitgemacht hat. Wirklich erstaunlich. Denn es gibt ja auch ganz andere Komponisten, die ihren Stil gnadenlos beibehalten haben, während alles um sie herum sich veränderte.
Hasse war, soweit wir wissen, sehr, sehr stolz auf seine späte Oper. Er hat das Ganze als ein Hauptwerk betrachtet. Und wenn man die übliche Länge der frühen Hasse-Opern betrachtet ist dies schon ein Instant-Hasse.
Warum wird es so selten oder so gut wie nie gespielt? Die Musikwelt ignoriert diese Epoche zwischen 1750 und 1800 ist immer noch zu sehr. Man hat den Eindruck, dass wir aus den 1710er bis -40er Jahren unendlich viel serviert bekommen, zum Teil auch Drittrangiges. Das überschwemmt den Markt, während eben diese spannende Szene nach 1750, ab der es dann erst so richtig losgeht in der Oper und wo dann wirklich die großen Reformen-Bewegungen kommen, vernachlässigt werden. Traetta, Piccini, Sarti, Salieri, Johann Christian Bach spielen kaum eine Rolle auf dem Aufnahme- oder Festival-Markt. Und deshalb sind solche Produktionen wie diese aus Berlin bei dem verdienstvollen Label cpo absolut hilfreich und wichtig, weil sie auf Geniales jenseits von Gluck und Mozart hinweisen.
Diese Oper ist wirklich ein Meilenstein. Die Akademie für Alte Musik unter Bernhard Forck hat das erkannt und glücklicherweise eingespielt. Die Aufnahme macht überstreckend glücklich. Das hat nicht nur mit der Einfühlsamkeit und Leidenschaft zu tun, mit der sich hier die Ackermus an die Wiederentdeckung der Oper macht. Das Werk hat es wirklich in sich. Es erfordert relativ junge, frische Stimmen, damit die Handlung plausibel sein soll. Und zugleich müssen diese Sänger aber auch wirklich was leisten. Sie haben eine enorme Skala an Ausdrucksfacetten zu stemmen. Beide, Piramus und Tispe, haben im zweiten Akt riesige Solonummern, fast schon kleine Solokantaten, wo sie Schmerz, Trauer, Hoffnung ausdrücken müssen. Beide, Annett Fritsch und Roberta Mamelli, machen das sehr packend und eben auch sehr nuanciert und filigran.
Bei den Aufführungen letzten Sommer in Berlin, die dieser Aufnahme vorangingen, hat sofort gespürt, dass beide sich mochten, dass sie harmonierten, dass ihnen die Oper einen riesigen Spaß machte. Und eben diese Harmonie, diese Lust ist mit Geld nicht zu kaufen. Das ist dann eben einfach Glück. Und dies Glück hört man eben. Jeremy Oden als Vater manchmal ein bisschen zu introvertiert, und es gibt auch Momente, wo es in den Szenen der Sängerinnen auch ein bisschen an Opulenz fehlt. Aber bei Hasses Wiener Premiere in beengten Umständen haben ja auch keine Megastars gesungen. Insofern bildet die Aufnahme das gut ab. Dieser intime, schlanke Ton ist mit diesen kleineren Stimmen recht authentisch. Zusammen genommen ist dies hier Instant-Hasse mit hoher Qualität (harmonia mundi france 905393.94). M. K./G. H.