Im Zwielicht

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Die Neuaufnahme von Händels Rinaldo bei GLOSSA, entstanden im August 2023 in London, dürfte es schwer haben, sich gegen die derzeit existierenden Einspielungen zu behaupten. Man denke nur an Carolyn Watkinson bei Sony, Marilyn Horne bei Nuova Era oder David Daniels bei Decca. Bei GLOSSA ist eine höchst divergente Besetzung versammelt, die in einigen Fällen dem musikalischen Anspruch der Kompostion nicht genügt. Die Aufnahme beginnt verstörend mit dem Auftritt des Heerführers Goffredo, den unverständlicherweise der Dirigent Marco Angioloni übernommen hatte. Sein Tenor klingt dilettantisch, eng und strapaziert in der Höhe und meckernd in den Koloraturen. In der Arie „Siam prossimi al porto“, welche den 2. Akt einleitet, muss die Stimme regelrecht. kapitulieren. Die doppelte Verpflichtung ist umso befremdlicher, da er mit dem Ensemble IL GROVIGLIO für ein farbenreiches, akzentuiertes Spiel mit spannenden Kontrasten und Effekten sorgt, seine Meriten also eher als Orchesterleiter hat. Ungenügend ist zudem der Bassist Michele Mignone als Mago cristiano und Araldo, der sich mit brummiger Stimme durch die Arie „Andate, o forti“ im 3. Akt quält.

Einen zwiespältigen Eindruck hinterlässt auch Filippo Mineccia als Titelheld, bei dem die Tendenz zu heulenden Tönen sich verstärkt hat. Darunter leiden besonders der Auftritt mit „Ogn´ indugio“ und gegen Ende des 1. Aktes „Cor ingrato“. Ihm fallen einige Hits des Werkes zu – „Cara sposa“ als getragenes, inniges Liebesbekenntnis und „Venti, turbini, prestate“ als entfesselter Sturm der Leidenschaft. Das erste Solo zeichnet er mit Tönen zwischen Wehmut und Larmoyanz, das zweite mit vehementen Koloraturläufen. An seine frühere Form erinnert der Sänger in „Abbruggio avvampo e fremo“.

So avanciert die renommierte Sopranistin Roberta Mameli als Almirena zum Star der Aufnahme. Die Stimme ist delikat, leuchtend und anmutig – und das nach jahrelanger Karriere. Mit feinen Tönen absolviert sie ihren Auftritt „Quel cor che mi donasti“ und bezaubert in der Arie „Augelletti, che cantate“, welche Vogelstimmen imitiert, mit Süße und Empfindung. Für ihren Hit „Lascia ch´io pianga“ findet sie ganz neue Varianten mit individuellen Verzierungen. Die beiden Arien am Ende des 2. Aktes, „Ah! crudel!“ und „Parolette, vezzi e sguardi“, gehören zu den Höhepunkten der Einspielung – erstere mit tiefer Empfindung vorgetragen, die zweite beherzt und kokett.

Eine Überraschung ist der belgische Countertenor Logan Lopez Gonzalez als König von Jerusalem Argante mit warmem, noblem Timbre, das vielleicht nicht dem Charakter der kriegerischen Figur entspricht, in seiner Kultiviertheit aber besticht. Die zärtliche Arie „Per salvarti, idolo mio“ im 2. Akt entspricht seinem stimmlichen Naturell perfekt.

iAls Zauberin Armida, Argantes Geliebte, ist Vivica Genaux zu erleben, eine Veteranin der Barockszene, die mit dramatischem Aplomb singt und schon bei ihrem Auftritt, „Furie terribili“, mit enormer Attacke fasziniert. Die Szene wird vom Orchester rasant eingeleitet, was die Sängerin aufnimmt und sich furchtlos in extreme Ausdrucksaffekte stürzt. Beeindruckend auch ihr letztes Solo „Fatto è Giove un dio d´inferno“ mit dem Ausdruck geschuldeten

Verfärbungen und Brüchen der Stimme. Francesca Martini komplettiert als Donna und Sirena die Besetzung, hat mit der Arie „Il vostro maggio“ eines der reizendsten Stücke. des Werkes zu singen, was ihr ansprechend gelingt.

Trotz aller Einschränkungen ist die Neuaufnahme interessant wegen der gewählten Fassung. 1711 wurde das Werk als erste italienische Oper Händels für London im dortigen King´s Theatre in the Haymarket uraufgeführt, aber GLOSSA bietet die Version von 1731. Händel hatte dafür einige Arien aus seinen Opern Lotario, Partenope und Admeto eingefügt, die Musiknummern neu geordnet und den Schluss geändert. Armida und ihr Geliebter werden nun von einem Drachenwagen entführt, statt sich zum katholischen Glauben zu bekehren.   Bernd Hoppe