Janáček war ein fleißiger Zeitungsleser. Im Mai 1916 fand er in der Lidove noviny, in der er vier Jahre später auch auf die Motive für sein Schlaues Füchslein stieß, die Notizen über einen jungen Bauernburschen, der vom elterlichen Hof verschwunden war. In seiner Kammer habe man Aufzeichnungen gefunden, die sein Verschwinden mit der Liebe zu der jungen Zigeunerin Zefka erklären, mit der in der Fremde ein neues Leben beginnen wolle. Als Verfasser der Aufzeichnungen wurde erst achtzig Jahre später der Schriftsteller und Mundartdichter Ozef Kalda identifiziert. Die Geschichte des damals unbekannten Poeten mit dem Titel Aus der Feder eines Autodidakten über eine glühende Liebe und den Aufbruch zu einem neuen Leben faszinierte den 62jährigen Komponisten, der kurz darauf die mehr als drei Jahrzehnte jüngere Kamila Stösslova kennenlernte, die bis zu seinem im Todesjahr 1928 entstandenen Streichquartett Intime Briefe sein Fühlen bestimmte: „du warst meine Zefka“. Die schöne Zigeunerin hatte sich in Kamila verwandelt. Zwei Jahre arbeitete Janáček an der Sammlung von 22 Gedichten im volkstümlichen Stil bis daraus der am 18. April 1921 im Brünner Reduta Theater uraufgeführte Liedzyklus Tagebuch eines Verschollenen für Tenor, Mezzosopran, drei Frauenstimmen und Klavier wurde, dem sich in der Folge alle bedeutenden tschechischen Tenöre von Beno Blachut bis zuletzt Alex Briscein zuwandten. Nun widmet sich auch Pavol Breslik zusammen mit dem Pianisten Robert Pechanec diesen aufwühlenden Liedern (Orfeo C989201), die er nicht mit den Zigeunerliedern von Brahms, die einen falschen Gypsy-Ton in Janáčeks in Anlehnung an die Sprachmelodie gefassten Zyklus spielen würden, mit den Sechs Volksliedern, welche Janáček 1909 auf der Grundlage von Liedern der Volkssängerin Eva Gabel aufgezeichnet hatte, sowie den acht, auch als Rebellenlieder bezeichneten Lieder aus Detva von 1916, verband,.
Breslik gibt in der im Mai 2019 in Wien entstandenen Aufnahme die Gefühle des geradezu besessenen Jan bzw. Janiček mit großer stimmlicher und emotionaler Bandbreite zwischen romantischer Leidenschaft, Verführung und Gewalt wieder, aus der klar wird, wie sehr der Komponist hier seine eigenen Gefühle spiegelte. Der innere Konflikt wird auch in dem feingezeichnet sprechenden Klavierpart ausgetragen, mit dem der Tenor viel intensiver in einen Dialog eintritt als mit der in drei Liedern gegenwärtigen Zefka (sehr prägnant: Ester Pavlu), der in zwei Liedern drei Frauenstimmen beistehen. Mit bannender Intensität und am Schluss ekstatischen Höhen schafft Breslik den unmerklichen Übergang vom dem als redlich beschriebenen naiven jungen Mann zu dem sich in Wahnvorstellungen flüchtenden Liebhaber, dessen letzte Äußerung in Max Brods deutscher Übersetzung „Lebe den wohl, Heimatland“ lauten würde; stets mit weicher Tongebung, behutsam ausgedeuteten, am Rande der emotionalen Überdrucks balancierenden Akzenten und sprachmalerischer Magie entwirft er ein Psychogramm, in dem die sämige Mittellage und der edle Mischlang seines Tenors von großer Wirkung sind. Rolf Fath