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Il Bel Canto Ritrovato Festival im Teatro Sperimentale brachte in Pesaro 2023 Luigi Riccis komische Oper Il birraio di Preston (Der Bierbrauer von Preston). Die ist nun bei der verdienstvollen Firma Bongiovanni als CD_Mitschnitt herausgekommen (die Ausstattung bei Bongiovanni/ GB 2611/12 – 2 enthält wie stets ein schönes Booklet mit einem Artikel Claudio Toscani und das Libretto in Italienisch und Englisch, sowie ein Grußwort vom Intendanten des „Festival Il Bel Canto Ritrovato“, Rudolf Colm). Ingrid Wanjas Rezension der neuen Bongiovanni-CD macht den Anfang, gefolgt von einem Artikel von Charles Jernigan zum Werk und zum Komponisten …
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Iniziativa preziosa: Ab 2022 gibt es, damals mit einer Oper von Pietro Generali, innerhalb der Regionen Romagna und Marche, im Geburtsort des Schwans von Pesaro, Giacchino Rossini und des zu den compositori minori gehörenden Lauro Rossi, dessen Wiege in Macerata stand, wieder die neben dem Rossini-Festival stattfindenden Aufführungen von einem der gut sechzig Komponisten mit rund 1300 inzwischen vergessenen Opern, Aufführungen im Zeichen des Festival nazionale del Belcanto ritrovato (in operalounge wurde darüber berichtet). Bisher dahin wurden die Minori verdrängt von den jeweiligen Platzhirschen: neben Rossini noch Bellini aus Catania und Donizetti aus Bergamo. Macerata ist bereits ausgelastet mit dem Opernfestival im Sferisterio, aber Fano, Urbino, Recanati, wo Beniamino Gigli begraben ist, beteiligen sich gern an dem Unternehmen, das nicht zuletzt die Tourismusströme aus der Toscana in die landschaftlich ebenso reizvollen Marche umleiten will.
2023 stand Luigi Riccis Semiseria Il Birraio di Preston auf dem Spielplan als erste Vorstellung des Werks in modernen Zeiten und natürlich auch erste Aufzeichnung, es spielte das Orchestra Sinfonica „G.Rossini“, die Gesangssolisten stammen aus der Accademia „Alberto Zedda“, dessen unermüdliches Wirken speziell für Rossini und speziell durch seine Edizioni critiche durch die Namensgebung zum Glück angemessen gewürdigt wird. Er hatte bereits für ein ähnliches Unternehmen wie das 2022 wieder aufgelebte gesorgt. Verdienstvoll ist auch die Bereitschaft des Musikverlags Bongiovanni, der immer wieder CDs mit in Vergessenheit geratenen Komponisten auf den Markt bringt, so auch den Bierbrauer aus Preston: da kein Winzer, ins ferne Inghilterra versetzt.

Luigi Riccis Oper „Il birraio di Preston“ beim Bel Canto Ritrovato Festival 2023/Szene/Foto Angelucci
Den besten Opernstoff, aber eher den für eine opera seria, liefert das Leben des Komponisten Ricci, der etwas dreißig Opern komponierte, vier davon gemeinsam mit seinem Bruder Federico, und dessen Birraio 1847 im Teatro della Pergola nahe Florenz uraufgeführt wurde. Sein größter Erfolg war allerdings Un‘ avventura di Scaramuccio, und auch Crispino e le comare wurde bis Ende des Jahrhunderts immer wieder aufgeführt. Erst Verdis Falstaff machte ihm wirklich Konkurrenz. Ein totaler Misserfolg allerdings waren seine Nozze di Figaro, die 1838 in Mailand durchfielen. Sein Leben verlief turbulenter als das seiner Opernfiguren, er hatte mit den beiden älteren Schwestern von Teresa Stolz gleichzeitig ein Verhältnis und wurde durch beide derselben Vater. Eine Schwester heiratete er, die andere blieb seine Geliebte. Sein Dasein beendete er schließlich in einem Irrenhaus in Prag.
Im Birraio di Preston geht es um eineiige Zwillinge, deren einer Brauer, der andere Offizier seiner Majestät ist. Der Brauer will gerade heiraten, als ein Freund seines Bruders ihn dingend bittet, sich beim Vorgesetzten für den offensichtlich fahnenflüchtigen Bruder, der außerdem noch die Schwester eines Kameraden verführt und verlassen hat, einzusetzen. Nach vielen Verwirrungen ist der nicht desertierte, sondern gefangen gehaltene Bruder auf dem Weg zurück, der Brauer hat inzwischen für ihn dank des schlauen, kampferprobten Reitpferds eine Schlacht gewonnen, zwei Paare können heiraten und glücklich werden.

Luigi Riccis Oper „Il birraio di Preston“ beim Bel Canto Ritrovato Festival 2023/Szene/Foto Angelucci
Die flüssig und leichtgängig daher kommende Sinfonia wird vom Dirigenten Daniele Agiman ( auch direttore artistico des Festivals) angemessen dargeboten, das Orchester nimmt sich beschwingt und leichtfüßig der gefälligen Musik an. Das Finale des 2. Akts besticht durch eine mitreißende Steigerung der Intensität.. Auch der Coro del Teatro della Fortuna weiß seine Vergnügungssucht als Hochzeitsgesellschaft angemessen zu vermitteln. Als Bass ausgewiesen ist der Brauer Daniele, sein Sänger Gianni Giuga hört sich eher wie ein Bassbariton an, behauptet sich gut in den Prestissimi und wirkt urkomisch bei seinen Lektionen in Soldatentum. Des Bruders Freund Tobia hat mit der von Francesco Samuele Venuti eine Stimme wie aus einem Guss, ein schönes Legato und nimmt sich seiner Partie empfindsam an. Des Brauers Braut Effy wird von Inés Lorans mit feinem Soubrettenstimmchen geschmeidig die Töne hintupfend gesungen, besonders die Arie im dritten Akt ist voll niedlichen Jubels. Die verlassene Anna ist Aloisa Aisemberg klingt zunächst verwaschen, blüht aber in der Verzweiflung über das Verlassensein angenehm auf. Ihr Bruder Oliviero schlägt sich mit dem Tenor von Antonio Garés durch Geläufigkeit besser in der Cabaletta als in der sehr nach Charaktertenor klingenden Arie. Der strenge Lord Murgrace wird von Alessandro Abis mit vokaler Autorität ausgestattet. Man wünscht dem „Belcanto Ritrovato, Festival Nazionale“ noch viele Spielzeiten und erfolgreiche Ausgrabungen (GB 2611/12). Ingrid Wanja
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Und nun Charles Jernigan zum Festival Il Bel Canto Ritrovato, zu Luigi Ricci und zum Werk: 1997 veröffentlichte Andrea Camilleri, der sizilianische Schriftsteller und Autor der äußerst beliebten Krimireihe um Inspektor Montalbano, einen Roman mit dem Titel Il birraio di Preston, in dessen Mittelpunkt ein Ereignis in Camilleris fiktivem Vigàta in den 1870er Jahren nach der Einigung Italiens steht. Die Bevölkerung ist verärgert, weil die neue nationale Regierung einen Präfekten, Eugenio Bortuzzi, einen Florentiner, in die Stadt entsandt hat. Bortuzzi hat ein neues Opernhaus errichten lassen und zur Einweihung eine Oper, Il birraio di Preston von Luigi Ricci, ausgewählt, die 1847 in Florenz uraufgeführt wurde. Die konservative Bevölkerung ist wütend darüber, dass ein „Ausländer“, ein Florentiner, den Sizilianern florentinische Musik aufzwingt, buht die Darsteller aus und brennt das Haus während der Aufführung nieder. Der Vorfall ereignete sich tatsächlich in der sizilianischen Stadt Caltanisetta und bildet den Dreh- und Angelpunkt von Camilleris faszinierendem, komisch-sardonischem Roman.
Dabei erfahren wir viel über die Oper im Italien der 1870er Jahre, einschließlich der Kontroverse zwischen Wagners Musik und der einheimischen italienischen Oper. Luigi Riccis Oper wird zum Symbol für alles, was die Sizilianer an der neuen nationalen Regierung, die sich ihren Traditionen aufzwingt, nicht mochten. Die Tatsache, dass der Roman Riccis Titel aufgreift, scheint Teil der Ironie zu sein, die in Camilleri allgegenwärtig ist, da es in dem Roman nicht wirklich um Il birraio di Preston geht, sondern um die sizilianische Haltung und den Unmut gegenüber einer fernen, zentralisierten Regierung. Es gibt keinen Grund, warum die Sizilianer Riccis Oper verschmähen sollten, auch wenn sie in Florenz uraufgeführt wurde, denn Luigi Ricci war wie sein Bruder Federico ein gebürtiger Neapolitaner, der aus demselben Königreich der beiden Sizilien stammte, das über den größten Teil Süditaliens, einschließlich Siziliens, geherrscht hatte, und Riccis Musik strotzt nur so vor neapolitanischen Melodien.
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Luigi Riccis Oper „Il birraio di Preston“ beim Bel Canto Ritrovato Festival 2023/Szene/Foto Angelucci
Bis zum Sommer 2023 schien es, als ob wir Opernliebhaber nie erfahren würden, ob Luigi Riccis Oper so „mittelmäßig“ war, wie die Beschreibung auf dem Romanumschlag behauptet. Obwohl die Brüder Ricci einzeln und zusammen etwa sechzig Opern geschrieben haben und viele von ihnen einst sehr populär waren, ist es heute schwierig, eine Aufführung zu finden. Es war also ein echter Glücksfall, dass das neue nationale Festival Il Bel Canto Ritrovato beschloss, Il birraio di Preston bei seiner zweiten Auflage im August 2023 in Pesaro und Umgebung aufzuführen. War es „mittelmäßig“? Nun, die Handlung war ein wenig abgenutzt, aber die Oper strotzte nur so vor wunderbaren Melodien, lebhaften Rhythmen und geschickter Orchestrierung. Es handelt sich nicht um eine komplexe und „ernste“ Komödie wie Verdis Falstaff oder sogar Camilleris Roman, aber es war ein durch und durch vergnüglicher Abend mit viel Spaß und der Entdeckung wertvoller verlorener Werke, die das Festival verspricht.
Die Handlung von Il birraio di Preston (die Oper) dreht sich um eineiige Zwillinge und die Verwirrung, die entsteht, als sie miteinander verwechselt werden. Das Libretto von Francesco Guidi, das auf der Oper Le brasseur de Preston von Adolphe Adam aus dem Jahr 1838 basiert, ist ziemlich vorhersehbar, aber unterhaltsam, mit cleveren Situationen für komische Duette, Trios und Ensembles – und sogar einigen Arien.
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Luigi Riccis Oper „Il birraio di Preston“ beim Bel Canto Ritrovato Festival 2023/Szene/Foto Angelucci
Eine Verwechslungs-Komödie mit eineiigen Zwillingen muss für Luigi Ricci, der den größten Teil seiner zwanzig Jahre mit zwei Zwillingsschwestern zusammenlebte, besonders bedeutsam gewesen sein. Ricci lernte die siebzehnjährigen Stolz-Schwestern Franziska und Ludmilla kennen, als sie seine Gesangsschülerinnen waren. Sie lebten offen in Triest zusammen, bis ein Skandal Ricci dazu zwang, eine Stelle in Odessa anzunehmen, um dort die italienische Oper zu verwalten. Die Schwestern kamen mit, und Ricci schrieb eine Oper (La solitaria delle Asturie) für sie. Zurück in Triest heiratete Luigi Ludmila, trennte sich aber nicht von Franziska, die er Fanny nannte. Um einen Skandal zu vermeiden, zogen sie in ein Haus, das jede Schwester zur Hälfte bewohnte. Aber laut dem scharfsinnigen Chronisten der italienischen Oper des 19. Jahrhunderts, Bellinis Freund Francisco Florimo, ließ Luigi hinter einem Schrank eine Geheimtür einbauen, die es ihnen – und ihm – ermöglichte, sich problemlos hin und her zu bewegen. Es funktionierte, bis eines Tages eine Primadonna mit ihrem Mann Luigi besuchte. Fanny, die eine unbekannte Frauenstimme hörte, brach in einem Anfall von Eifersucht durch den Schrank und schockierte damit alle. Ludmilla schenkte Luigi bald eine Tochter namens Adelaide, die Sängerin wurde, und ein Jahr später schenkte Fanny ihm einen Sohn, Luigino, der wie sein Vater Komponist wurde.
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Federico und Luigi Ricci /Wikipedia
Opernliebhaber wissen heute vielleicht nicht viel über die Brüder Ricci, aber sie kennen wahrscheinlich die berühmte Tarantella aus Luigis La festa di Piedigrotta, auch wenn sie nicht wissen, dass sie aus einer Ricci-Oper stammt. Diese allgegenwärtige Melodie, die so sehr ein Synonym für italienische (und insbesondere neapolitanische) Musik ist, ist typisch für Luigis Fähigkeit, Musik mit Ohrwurmcharakter zu kreieren. Die Musik von Il birraio ist in diesem Sinne – unermüdlich melodisch, eine Kaskade italienischer Melodien. Im 1. Akt sticht Effys Eingangsarie „La vecchia Magge“ hervor. Die alte Maggie hat der hübschen jungen Effy beigebracht, wie man sich Männern nähert und einen Ehemann findet. Letzteres ist ihr nicht besonders gut gelungen, bis Daniele auftauchte, aber er ist reich, hat einen guten Job und ein gutes Herz, auch wenn er ein bisschen langweilig ist. Die beste Musik gibt es im 2. Akt, mit einer eingängigen Cavatina für Oliviero, einen Tenor, komplett mit ausgelassener Cabaletta („Al furor d’un cor ardente“); Tobias ungewöhnliche Brindisi, „Era Tom un dragone valente“, über einen Soldaten, der „wisky“ für Bier aufgibt; das wunderbare Trio („Or conviene d’un soldato“) zwischen Daniele, Tobia und Effy, als sie beide Daniele „lehren“, wie man ein richtiger Soldat ist; und ein grandioses Finale mit einem wunderbaren, langen pezzo concertato, „Per secondar l’intrepido“, das zahlreiche melodische Themen durchläuft, eines besser als das andere. Ich für meinen Teil wollte nicht, dass es aufhört. Im 3. Akt gibt es auch einen „pezzo concertato“ und ein komisches Duett („La vederemo…la vedremo“), in dem Effy und Anna sich gegenseitig als potenzielle Bräute von Daniele/Giorgio einschätzen, die sie für ein und dieselbe Person halten. Effy hat am Ende eine große Arie in halb-ernster Manier („Deh! ch’ei non sia la vittima“), gefolgt von ihrer köstlichen Walzer-Final-Cabaletta. Mit anderen Worten: Jede Nummer ist ein Genuss.
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Donizettis wohlwollender Geist schwebt über der Partitur von Ricci, insbesondere über dem Donizetti von La fille du règiment (1840) und vielleicht Betly (1836). La fille du règiment ist das Paradebeispiel für die in den Opern dieser Zeit vorherrschende Mode, dass eine Frau in einem Soldatenkostüm zu martialischer Musik herummarschiert. Effy, die mutiger ist als der schüchterne Daniele, zieht sich einen Soldatenmantel über ihr Kleid, und im zweiten Akt bringt Tobia ihr bei, wie man marschiert, ein Schwert hält und auch sonst „soldatisch“ auftritt – und sie bringt es Daniele bei, und das alles im köstlichen Trio „In un momento“, das mit „Rataplans“ gespickt ist, wie sie Marie in La fille du règiment singt. Verdi benutzte die Trope noch 1862 in La forza del destino, als Preziosilla zwei martialische Stücke mit ihren eigenen „rataplans“ hat.
Die komisch-martialische Atmosphäre der Geschichte verleiht der Trompete neben dem Schlagzeug eine herausragende Rolle in der Orchestrierung. Es gibt zwei Trompetenstimmen, und die Trompeter sind fast immer im Einsatz, um Melodien zu unterstreichen, einen kleinen Kontrapunkt zu setzen oder Trompetenrufe auszuführen. Im Gegensatz zu früheren Opern von Rossini und Donizetti gibt es keine klangvollen obligaten Stimmen für Flöte, Klarinette oder Oboe, die dem Sänger Gegenmelodien bieten. Nicht einmal ein Waldhorn. All dies verleiht der Orchestrierung eine bandartige Qualität und macht die Partitur zu einer Art Brücke zwischen komischer Oper und Operette. Der Sprung von Ricci zu von Suppé oder gar Johann Strauss ist nicht groß.
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Il belcanto ritrovato Pesaro: Intendant, Gründer und Organisator Rudolf Colm/ Foto IBR
Luigi und Federico Ricci setzten den von Donizetti begonnenen Trend fort, der Opera buffa wie Nemorinos „Una furtiva lagrima“ ein sentimentales Element zu verleihen. Wie Will Crutchfield feststellte, hielt der Walzer nach etwa 1845 als wichtiges Element Einzug in die italienische Oper, und die Brüder Ricci nutzten diesen neuen Tanz mit Sicherheit aus. Il birraio di Preston (1847) enthält mehrere Walzer, darunter die Schlussarie. Obwohl er in Wien als Tanz erfunden wurde, hielt der Walzer laut Crutchfield erstmals in italienischen Werken der Jahrhundertmitte Einzug in die Oper, bevor er die Alpen wieder überquerte und zum dominierenden Element der Wiener Operette wurde. (…) Charles Jernigan/ G. H.
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