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Die Tragédie en musique Les Boréades ist Jean-Philippe Rameaus letzte Oper und eine seiner bedeutendsten. Nicht umsonst haben renommierte Alte-Musik-Dirigenten wie John Eliot Gardiner und William Christie das Werk in ihrer künstlerischen Arbeit favorisiert. Nun legt Erato (2173237273) eine Neuaufnahme mit dem ungarischen Orfeo Orchestra unter seinem Leiter György Vashegyi und dem Purcell Choir vor, die im September 2023 in Budapest entstand. Es ist die Premiere für den Klangkörper bei diesem Label und eine exquisite Besetzung soll der Einspielung zum Erfolg verhelfen. Angeführt wird sie von der französischen Star-Sopranistin Sabine Devieilhe in der Partie der Alphise, Königin von Baktrien, die sich mit ihrem Geliebten Abaris dem Nordwindgott Borée und dessen Söhnen widersetzt. Ihr erstes, ausgedehntes Air, „Un horizon serein“, ist von introvertiertem Duktus, verlangt dennoch hohe stimmliche Kunstfertigkeit.
Wie ein Vogel jubiliert Devieilhe, lässt feinste Schwingungen und raffinierte Modulationen hören. Abaris ist der Haute-contre Reinoud Van Mechelen – ein Spezialist für dieses Fach. Er tritt zu Beginn des 2. Aktes mit dem Air „Charmes trop dangereux“ auf und besticht mit seiner exemplarischen Artikulation und individuellen Stimme. Heldischen Anstrich hat seine Air „Fuyez, reprenez vos chaînes“ im 4. Akt. Mit Alphise hat er Ende des 3. Aktes das dramatische Duo „Borée en fureur“ zu singen, bei dem Donnerblech und Windmaschine eine furiose Gewitterstimmung heraufbeschwören. Diese nimmt die Suite des vents zu Beginn des 4. Aktes auf – ein hinreißendes Tongemälde von plastischer Imagination. Einen zweiten Tenor gibt es mit Benedikt Krist Jánsson in der Partie des boreadischen Prinzen Calisis, den Alphise auf Geheiß von Borée ehelichen soll. Ihm fällt das erste Air des Werkes zu, „Cette troupe amable“, das der isländische Sänger kultiviert vorträgt. Herrlich sein Air „Écoutez l´Amour“, in welchem der Purcell Choir prächtig assistiert. Die sich fast überschlagenden Koloraturen in „Jouissons de nos beaux ans“ geraten dagegen etwas angestrengt. Mit dem Bariton Tassis Christoyannis als Hoheprieser Adamas ist die erste tiefe Stimme zu hören – in reifer, etwas grober Verfassung. Er gibt auch den Apollon und kann in dessen Air „Délices des mortels“ mit weicheren Tönen aufwarten.
Ein zweiter Bariton ist Philippe Estéphe als Borilée, der in seinem Air „Nos peuples“ mit gepflegtem Gesang erfreut. Das Bariton-Trio komplettiert Thomas Dolié als Borée, der in seinem kurzen Air „Venez punir son injustice“ im 5. Akt grimmige Töne hören lässt. Die Besetzung komplettiert Gwendoline Blondeel als Alphises Vertraute Sémire, Une Nymphe, L´Amour und Polymnie mit einem Sopran, der im Niveau der Devieilhe nicht nachsteht.
Vashegyi breitet die Komposition in ihrem Reichtum und der Vielfarbigkeit hinreißend aus, findet perfekt die Balance zwischen den lieblichen Divertissements und bedrohlichen Gewitterszenen. Prächtigen Umriss empfängt die Ouverture in ihrem Bläserglanz. Man höre, wie fein ziseliert das zauberhafte Motiv in der Contredanse pour la Suite de Borilée et de Calisis am Ende des 1. Aktes ist, wie delikat die Première et deuxième Gavotte pour les Nymphes ertönt, wie jauchzend sich das Rigaudon im 2. Akt aufschwingt. Zauberhafte Tänze pour l´Amour et le Plaisir beenden die Tragédie in heiterer Stimmung. Bernd Hoppe