Gefiedertes aus Apulien

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Das Festival della Valle d’Itria in Martina Franca ist nicht wirklich eines der größten aber doch eines der verdienstvollsten italienischen Festivals, im süditalienischen Apulien gelegen, mit Bari als dem nächsten Flughafen und nur wenige Kilometer entfernt von Alberobello, der Ortschaft mit den berühmten Trulli, putzigen Rundbauten, die wegen eines Verbots des Grundherren, „normale“ Häuser aus Stein zu erbauen, entstanden und nun seit langem (auch als gut klimatisierte Wohnungen) ein Hauptanziehungspunkt für Touristen sind.

Seit 1975 gibt es das Festival, das sich durchgehend, auch wenn Intendanten und direttori artistichi jeweils eigene Akzente setzen, der Wiederentdeckung in Vergessenheit geratener Werke widmet, namentlich der von ortsansässigen Komponisten der Vergangenheit und vor allem des Belcanto und der neapolitanischen Schule. Lange Jahre lang war Musikpapst Rodolfo Celletti maßgebend für viele Entdeckungen alter Kompositionen und junger Sänger, die hier ihre Karriere starteten. Für letztere, aber auch für opern-verpflichtete Journalisten, gab es jedes Jahr einen Preis, den 2002 der Herausgeber der operalounge, Geerd Heinsen, gewann. Wenige italienische Sänger wagten es damals, eine neue Partie anzunehmen, ohne vorher Celletti um Rat gefragt zu haben, und inzwischen trägt die dortige Accademia seinen Namen zu seinem Gedächtnis und als Anmeldung eines hohen Anspruchs. Wenngleich auch an seinen Nachfolger, den französischen Journalisten und Opernfachmann Sergio Segalini, erinnert werden muss.

Allerdings musste man und muss wohl immer noch  allerlei Unbill in Kauf nehmen, so erinnere ich mich an eine regenbedrohte Così fan tutte mit dem oft in Martina Franca wirkenden Fabio Luisi in einem Kino ohne Klimaanlage, und auch im Hauptspielort, dem Hof des Palazzo Ducale, musste man mit zeitweisem Stromausfall rechnen, so dass es lange Unterbrechungen und Pausen und einen sehr späten Heimweg nach Alberobello gab. Aber Italiener lieben ja Spätnächtliches, namentlich im heißen Sommer.

Im Jahr 2023 gab es im Teatro Verdi Florian Leopold Gassmanns dramma giocoso Gli Uccellatori, also die Vogelfänger, die nichts mit der Zauberflöte zu tun haben, wohl aber mit Mozart, denn seine Finta semplice musste 1774 in Wien der Gassmann-Oper weichen. Das Libretto stammt von Carlo Goldoni und ist eine typische Buffa, sogar eine, bei der die untere Schichte des Personals der oberen voraus hat, die Finali singen zu dürfen in einer Liebesgeschichte, in der es erst einmal kreuz und quer durch die sozialen Schichten geht, ehe sich Standesangehöriger zu Standesangehörigem findet, nur einer unverbunden übrig und ehelos bleibt.

Die Aufnahme enthält die Wiener Fassung, die im Unterschied zu der aus Venedig nicht nur Streicher erfordert, und das Orchestra ICO della Magna Grecia unter Enrico Pagano erweist sich als kompetente Begleitung für die Sänger, manchmal etwas unausgewogen, was das Verhältnis der Instrumentengruppen zueinander betrifft, aber insgesamt doch spritzig und spielfreudig.

Auch in Italien kommt man nicht mehr ohne nichtitalienische Sänger aus. Die eine große Virtuosität erfordernde Partie der Contessa Armelinda ist mit der Isländerin Bryndis Gutjónsdóttir besetzt, die einer Königin der Nacht würdige Koloraturen souverän beherrscht, die aber auch einen neckischen Soubrettenton annehmen kann. Diesen beherrscht souverän Angelica Disanto als Mariannina mit Frische, Klarheit und Pep, in Moll ausgesprochen apart klingend. Die dritte Dame ist Roccolina, der Justina Vaitkute einen satten Mezzosopran verleiht, der Schelm wie Sentimentalität im Timbre hat.

Die spektakuläre Tenorentdeckung wie einst mit Giuseppe Morino findet auf diesen CDs nicht statt. Etwas trocken, aber musikalisch nimmt sich Massimo Frigato des Riccardo an, mit beachtlicher Geläufigkeit meistert er  anspruchsvolle Verzierungen beachtlich. Zwischen Buffo- und Charaktertenor bewegt sich der Toniolo von Joan Folqué, der sich auch mal im Falsettone bewegt und von dem man in den Ensembles mehr Einsatz erwarten dürfte. Mit warmem, farbigem Bassbariton agiert der Cecco von Elia Colombotto mit viel Schalk in der manchmal etwas holprig eingesetzten Stimme. Huigang Liu ergänzt als vokal recht schüchterner Pierotto das Ensemble, also haben die Vogelfänger auch  Vogelnamen, was die so geehrten, die auch heute noch vereinzelt als winzige Kadaver auf den Märkten zum Verzehr angeboten werden, ihnen kaum danken würden (Dynamic CD58033.02). Ingrid Wanja