Zwischen ein paar Poliutos Ende 1960 an der Scala und den Medeas im folgenden Jahr in Epidaurus und im Dezember an der Scala hätte Maria Callas bequem Ariadne einschieben und der Medea eine weitere bedeutende Figur der griechischen Mythologie an die Seite stellen können. Schöne Idee. Vieles hatte man ihr angetragen, diese Ariadne wäre wohl nicht das Richtige gewesen. Es heißt, Bohuslav Martinů habe sich für seine Ariane die Callas gewünscht. Als der 45minütige Einakter 1961, zwei Jahre nach Martinůs Tod, herauskam, ließen sich die Bühnenaufführungen der Callas fast an zwei Händen abzählen, und Gelsenkirchen, das sich mit der u.a. um das Mahagonny-Songspiel ergänzten Uraufführung schmücken durfte, war keines der Zentren, das ihr angemessen gewesen wäre.
Der in den Sommermonaten 1958 währen der Arbeit an seiner letzten Oper, der Griechischen Passion (die deutsche Übersetzung in der aktuellen Supraphon-Aufnahme spricht fälschlicherweise von den „Römischen Passionen“) entstandene Einakter fand nicht eben häufig auf die Bühne. Straßburg hat ihn 1997 gegeben, zusammen mit Blaubarts Burg, eine Koppelung, die sich anbietet. Im Zuge einer mit dem Juliette-Boom einhergehenden Martinů-Neuentdeckung kam es im letzten Jahr zu Ariane-Aufführungen in den Philharmonien in Berlin und Essen, letztere aus dem Oktober 2015 liegt nun – zusammen mit dem Doppelkonzert für Streichorchester, Klavier und Kesselpauken – auf Supraphon vor (als SU 4205-2), in deren Katalog sich auch die 1986 in Prag unter Václav Neumann entstandene Aufnahme mit Celina Lindsley befindet.
Für die „leichte Komödie“, so Martinů, benutzte der Komponist, wie bereits für Juliette, ein Theaterstück des französischen Surrealisten Georges Neveux, der den Minotaurus als eine Abspaltung des Theseus begreift, den Kampf mit dem Minotaurus ins Zentrum rückt und das Stück mit der Abreise des Theseus enden lässt. Martinů beschließt das Werk mit einer rund 9minütigen Arie der Ariane, die Bezug auf Monteverdis Arianna-Klage nimmt und einen wesentlichen Teil der Komposition ausmacht. In den drei Bildern mit geschlossenen Nummern und orchestralen Zwischenspielen zeigt sich Martinů, der „vierte tschechische Klassiker“, wie Hans-Klaus Jungheinrich so treffend befand, wieder als origineller Verwalter und Gestalter vielfältiger Stilmittel von archaischer Klanglichkeit und neoklassizistischer Virtuosität, dabei klar und unkompliziert, was Tomás Netopil mit den Essener Philharmonikern mit luzider Dringlichkeit aufs Überzeugendste unterstreicht. Simona Saturová hat einen bezaubernden lyrischen Koloratursopran, mit dem sie der Ariane bis zum zarten „Si je dois mourir, je mourrai hereuse, car celui que j’aurai aimée, c’est roi Thésée…“ leuchtende Sinnlichkeit und ansprechende Poesie verleiht. Den griechischen Helden, hier ein Bariton, singt Zoltán Nagy mit Autorität, Baurzhan Anderzhanov gestaltet die knappe Partie des Minotaurus mit gefährlichem Bass, dazu kommen einige kleinere Partien, die eher klangmalerische und atmosphärische Funktion besitzen. Die ausgezeichnete Aufnahme der Kurzoper wird sehr überzeugend durch das 1938 im Auftrag von Paul Sacher entstandene Doppelkonzert ergänzt.
Ebenfalls eine Kurzoper erdachten sich die findigen Macher von Palazzetto Bru Zane: Il était une fois nannten sie ihre Sammlung von Arien und (teilweise transkripierten) Piècen, die sie zu einer Opéra imaginaire autour des contes de fées à l’ époque romantique bzw. – schließlich ist das wie bei allen Veröffentlichungen des Centre de Musique Romantique Française sehr informative Büchlein, in dem die CD liegt, dreisprachig – Es war einmal. Eine imaginaire Oper rund um die Märchenwelt der Romantik zusammenfassten (Alpha 244). In Form einer dreiaktigen 60-Minuten-Oper haben die Macher den Stücken die Titel „Sorglosigkeit“, „Melancholie“ und „Glückseligkeit“ sowie eine kleine Märchenhandlung („Die Prinzessin ist einsam und traurig“) unterlegt. Viel Mühe für ein Recital, das man auch einfach nur als Arien des 19. Jahrhunderts hätte anbieten können. Die Sopranistin Jodie Devos und die Mezzosopranistin Caroline Meng und das Quatuor Giardini zelebrieren die Kunst der Salonunterhaltung als hohe Schule des Musikmachens und machen aus dem kleinen Märchenspiel eine quirlige, höchst animierende Unterhaltung, bei der die Umsetzung nie hinter der Idee herhinkt; wenngleich man sich hie und da bei den bekannten Stücken, etwa Isabellas „Cruda sorte“, hier als „Sort cruel“, eine üppigere Opernstimme hätte vorstellen können. Doch die Sammlung, die Unbekannten wie Charles Silver (1868-1949), Frédéric Toulmouche (1850-1909), Laurent de Rillé (1828-1915) oder Gaston Serpette (1848-1904) Referenz erweist, vereint so hinreißende Duette wie aus „Le Petit Poucet“ von de Rillé und Isouards „Cendrillon“, das „Couplet de Flirt“ von Toulmouche, Offenbach-Evergreens und gassenhauerische Zwischenspiele zu einem frechen und burlesken, charmanten und geistreichen Reigen – so süß, leicht und bunt wie Macarons. Man ist so von den Stücken so bezirzt, dass man kaum dazu kommt, den Aufsatz über die französische Märchenromantik von Hélène Cao und Alexandre Dratwicki zu lesen. Rolf Fath