Französisch-ungarische Gemeinschaftsarbeit

 

Die beachtliche Serie seiner Einspielungen von französischen Barockopern erweitert das Label GLOSSA um die Tragédie Jephté von Michel Pignolet de Montéclair (1667 – 1737), welche 1732 an der Pariser Académie royale de musique uraufgeführt wurde (GCD 924008).

Bei der im März 2019 in Budapest eingespielten Aufnahme handelt es sich um eine schon mehrfach (so bei manchen Einspielungen des Palazzetto Bru Zane) praktizierte Koproduktion zwischen Müpa Budapest, dem Centre de musique baroque de Versailles und der Orfeo Music Foundation. Das Orfeo Orchestra und der Purcell Choir werden geleitet von György Vashegyi, der sich für die dritte Fassung der Oper (von 1737) entschieden hat, die bisher noch nicht veröffentlicht wurde.

Dass eine biblische Geschichte auf der Opernbühne aufgeführt wurde, stieß auf die Kritik namhafter Zeitgenossen (so Voltaire), doch fand das Stück großen Anklang beim Publikum und wurde bis 1761 immer wieder (in drei verschiedenen Fassungen) gezeigt. Erst danach musste es in der Gunst der Zuhörer den Meisterwerken Rameaus weichen.

Jephté ist die einzige französische Oper des 17. und 18. Jahrhunderts auf einen Bibel-Text und verfolgt zwei Handlungsstränge – Jephté, der als Vater seine Tochter Iphise opfert, um sein Versprechen an den Herrn einzuhalten, und die Liebesbeziehung seiner Tochter zu seinem Feind Ammon. Nur Almasie, Jephtés Gattin und Iphises Mutter, greift in beide Handlungsebenen ein, die sich erst im 5. Akt verbinden.

Nach dem Prolog mit den mythischen Gottheiten Apollon, Polymnie, Terpsichore, Vénus und La Verité führt der 1. Akt in das Lager der Israeliten diesseits des Jordan. Nach langem Exil kehrt Jephté zurück in das Land seiner Vorfahren, entschlossen, gegen seinen Feind Ammon zu kämpfen. Er bittet Gott um Unterstützung und schwört, den ersten Menschen zu opfern, der ihm bei seiner Rückkehr begegnet.

Wegen seiner Gefühle für Iphise weigert sich der gefangene Ammon zu fliehen. Sie teilt seine Zuneigung, leidet jedoch unter ihrer verwerflichen Leidenschaft. Als Jephtés Sieg angekündigt wird, läuft sie ihrem Vater als Erste entgegen. Gemeinsam mit seiner Gattin Almasie beklagt er das schreckliche Los, das ihm auferlegt ist, sein eigenes Blut zu vergießen. Almasie offenbart ihrer Tochter das Vorhaben des Vaters. Würdevoll ist sie bereit zu sterben, lehnt auch Ammons Angebot ab, sie mit Waffengewalt zu retten. Dieser ist entschlossen, sich an dem Gott, der seine Geliebte tötet, zu rächen.

Der 5. Akt führt in den Tempel von Maspha, wo am Altar alles für das Opfer bereit ist. Da ertönen Rufe der Aufständischen unter Führung Ammons, denen sich Jephté entgegenstellen will, doch trifft ein Blitz seinen Feind. Wieder grollt Donner, und in einer Vision erkennt der Oberpriester Phinée, dass der Zorn Gottes besänftigt und das Leben Iphises zu schonen ist. Alle preisen die göttliche Gerechtigkeit.

Die Einspielung profitiert von der exzellenten Qualität des Orchesters, welches vom Dirigenten zu lebhaftem Musizieren inspiriert wird. Die Ouverture zum Prologue und die Préludes zu den Akten sind schwungvoll und Affekt betont, die zahlreichen Tänze lebendig und von straffem Rhythmus – von martialischem Pomp die Marche und Airs des Guerriers, fulminant die Marche au son des tambourins, lebhaft und in ihren Dudelsackanklängen von schottischer Anmutung die Première et deuxième Pastourelle. Auch der Chor besticht mit klangreichem und vitalem Gesang, wirkt oft auch mit großem Anteil in Duos oder Trios mit (z. B. „Esprit de feu“ im letzten Akt oder im Finale „Du plus beau de nos jours“).

Die stimmige Besetzung wird angeführt von Tassis Christoyannis in der Titelrolle mit hellem, wohllautendem Bariton. In seiner Auftrittsarie zu Beginn des 1. Aktes, „Rivages du Jourdain“, evoziert er mit expressivem Nachdruck den Konflikt der Figur. Nicht weniger eindrucksvoll ist der Oberpriester Phinée von Thomas Dolié, dessen Bariton etwas dunkler getönt, aber gleichfalls von imponierender Eindringlichkeit ist. Beider Duo „Viens, répands le trouble et l’effroi“ ist von kämpferischem Impetus. Erschauernd tönt Jephtés Rezitativ „Que vois-je?“, welches das Entsetzen widerspiegelt, als er seine Tochter Iphise erblickt. Chantal Santon Jeffery singt sie mit lyrischem Sopran von berührender Empfindsamkeit. Ihr Air vor dem Opfertod, „Je meurs“, ist in seiner Schlichtheit besonders ergreifend. Reifer und gleichfalls gefühlvoll klingt die Stimme von Judith van Wanroij als ihre Mutter Almasie. Das Duo der beiden Frauen im 2. Akt, „Maître des vastes cieux“, spricht von Auflehnung gegen das Unvermeidliche. Ihr Zwiegesang im 4. Akt, „Seigneur, tout mortel“, ist erfüllt vom gemeinsamen Schmerz über das bevorstehende Opfer. Im Finale preisen beide gemeinsam mit Jephté in einem lebhaften Trio mit Chor den glücklichen Ausgang. Bernd Hoppe