Die Überschrift ist nicht ganz korrekt, handelt es sich doch bei Carl Maria von Webers Peter Schmoll und seine Nachbarn um einen veritablem Zweiakter, wobei der komischen Oper ihre Sprechtexte abhanden kamen, wodurch die 20 Nummern, die im Januar 2019 im Theater an der Wien eingespielt wurden, kommoderweise auf eine CD passen (Capriccio C5376). Eine schöne Repertoireergänzung nach der Marco Polo-Aufnahme aus Münster von 1993 mit den neuen Texten von Willy Werner Göttig. Wie Lortzing kam der Sohn einer Sängerin und eines Kapellmeisters früh mit der Bühne in Kontakt. Nach ersten Versuchen, darunter das 1800 im sächsischen Freiberg uraufgeführte Waldmädchen des 15jährigen, das eine gewisse Verbreitung fand, gelangte Peter Scholl und seine Nachbarn vermutlich im März 1803 in Augsburg auf die Bühne. Der auf einem Roman von Carl Gottlob Cramer basierende Text von Joseph Türk, dessen verlorengegangene Dialoge bei späteren Aufführungen im frühen 20. Jahrhundert anhand der Romanvorlage neu gedichtet wurden, behandelt ein damals aktuelles Kapitel deutscher Geschichte, darin Schuberts Der vierjährige Posten nicht unähnlich. Schmoll und die Seinen sind Flüchtlinge. In den Wirren der Französischen Revolution hat Schmoll sein Vermögen verloren, lebt aber immer noch ganz anständig. Alles andere ist Komödienschablone. Scholl hat ein Auge auf seine bedeutend jüngere Nichte Minette geworfen. Doch diese denkt nur an ihren Karl, der ebenso wie Peter Schmolls Bruder Martin in den Kriegswirren verlorenging. Beide erscheinen rechtzeitig. Webers Oper ist kein realistisches Revolutionsdrama, sondern ein artiges Singspiel im Stil des ausgehenden 18. Jahrhunderts mit sentimentalen, moralisierenden Wendungen, schlichten Liedern, unter denen Minettes Romanze „Ein Mädchenherz, das wahrhaft liebt“, das Terzett „Spiele, alter Esel du“, wo die derbe zupackende Sprache wiederum an Lortzings oft sprichwörtlich gewordene Zeilen erinnert, das von einem Klarinettensolo eingeleitete Rezitativ und Arie des Karl „Ich bin an meiner Wünsche Ziel“, das Finaletto I sowie das Schlussquartett „Schert euch zum Satan“ hervorstechen. Das plätschert munter dahin, ist mit den solistisch eingesetzten Flöten, Hörnern und Fagott vielfach kunstvoll instrumentiert, was das ORF Vienna Radio Symphony Orchestra – was für ein gewaltiger Name – unter Roberto Paternostro so liebevoll zu erkennen geben als liege ihnen dieses Singspiel aus der Wiener Schule à la Dittersdorf noch im Blut. In der einen oder anderen Wendung lassen sich Vorbilder späterer Figuren erkennen. Am ehesten kann man in der von Ilona Revolskaya soubrettenrein gesungenen Minette eine Vorstudie zum Ännchen sehen oder im mit Duett mit Sebastian Kohlhepps engtenoralem Karl „Geliebter Mann“ die romantisch-bedrohliche Atmosphäre des Freischütz erahnen; Kohlhepp beweist in der zuvor erwähnten Arie dann auch Koloraturgewandtheit. Die beiden Brüder Peter und Martin Schmoll sind sich nicht nur einig „Es ist wie ich sprach: Der Klüg’re gibt nach“, sondern klingen bei Paul Adam Edelmann und Thorsten Grümbel auch sehr verwandt. Die fehlenden Sprechtexte werden nicht vermisst.
Die Situationen in Stanislaw Moniuszkos ein gutes halbes Jahrhundert später 1861 an dem von ihm seit 1858 geleiteten Teatr Wielki in Warschau uraufgeführten Einakter Verbum nobile (Das Ehrenwort) sind denen bei Weber oder allen Singspielen oder komischen Opern des frühen 19. Jahrhunderts ähnlich. Zuzia, Tochter des Edelmanns Serwacy Lagoda, heiratet schlussendlich Stanislaw und löst damit auch das von ihrem Vater gegebene Ehrenwort ein, den Sohn des befreundeten Marcin zu heiraten, denn Stanislaw ist kein anderer als Marcins Sohn Michal, der sich unter anderem Namen auf dem Landsitz einführte. So einfach ist das. Das Libretto stammt von Jan Checinski, der in dem im 18. Jahrhundert spielenden Stück die später im Gespensterschloss kultivierte Rückbesinnung auf nationale Tugenden und Identität beschwört und eine warmherzige polnische Idylle mit einem in Einklang mit seinen Bauern lebenden Landadel suggeriert, die Moniuszko in seiner Musik aufgreift, die nationale Motive mit westlichen Singspieltraditionen verbindet. Im Zuge der Unruhen und Demonstrationen gegen die russische Fremdherrschaft und einem nationalen Trauermonat nach dem Tod von fünf Patrioten ging Verbum nobile nach der erfolgreichen Uraufführung unter. Die DUX-Aufnahme aus dem Schloss in Szczecin von 2010 ist nach der Posener Aufnahme von 1969 unter Robert Satanowski die zweite des Werkes. Der Klang der von Warcislaw Kunc mit Chor und Orchester der Schloßoper mit Gefühl für die nostalgischen Eintrübungen der elf abgerundeten Nummern geleiteten Aufnahme ist etwas wattig und fern als käme er aus den Schlossverliesen. Gerne würde man dem Stück, das man heute ironisch filtern würde, auf der Bühne begegnen. Die Anforderungen an die Sänger halten sich in Grenzen, wobei ihre Arien, in den immer wieder italienischer Parlandowitz aufblitzt, kleine Kabinettstückchen sind. Herausragend die Dumka elegia der von Aleksandra Buczek mit flachem Sopran gesungenen Zuzia. Ihr Liebhaber ist der neutrale Michal Partyka als Stanislaw/Michal. Aleksander Teliga und Leszek Skrla verkörpern mit grob gefurchten Bässen als Serwacy Lagoda und Marcin den Typ des aufrechten Edelmanns, wie ihn Moniuszko gerne pflegte.
Ebenfalls aus Polen kommt Bizets Djamileh, die im Rahmen des 21. Beethoven Festivals im April 2017 im Konzertsaal der Posener Philharmonie aufgenommen wurde. Die Zusammenarbeit mit dem Voice and Opera Department at Yale School of Music erklärt die Besetzung mit amerikanischen Solisten, die Bizets exotischem Standfoto aus einem Kairoer Harem bei seiner polnischen Erstaufführung Leben einhauchen sollen. Bei der Dux-Ausgabe (1412, in wertiger, zweisprachig englisch-polnischer Ausstattung) dürfte es sich um die dritte Studio-Einspielung nach der Orfeo-Aufnahme von 1983 mit Lucia Popp und einer französischen Aufnahme mit Marie-Ange Todorovitch handeln. Über die von Mahler und Strauss hochgeschätzte Djamileh von 1872 hat sich der Schleier des Vergessens gesenkt, gleich der Titelfigur, die sich Haroun verschleiert nähert, um noch einmal seine Liebe zu erringen. Denn eigentlich tauscht Haroun jeden Monat seine Gespielinnen aus und lässt Splendiano auf dem Sklavinnenmarkt für Nachschub sorgen. Mit Hilfe Spendianos, dem sie sich als Preis versprochen hat, falls die List misslingt, lässt sich Djamileh nochmals bei Haroun einschmuggeln. Der Betrug rührt Haroun derart, dass er sich blitzartig in Djamileh verliebt. Das auf Alfed de Mussets Namouna –Dichtung basierende Libretto von Louis Gallet ist dürftig, die Handlung undramatisch, die Figuren ohne Tiefe. Die Musik jedoch atmet den Duft des Orients, spiegelt die Faszination der französischen Kunst und Musik für ägyptisch-nordafrikanische Welten wieder, wie man sie durch Ingres, Flaubert oder die Musik von David über Massenet bis Delibes kennt und für die die Dux-Ausgabe mit der kostbaren Schmuckstückmalerei einer Haremsdame des katalanischen Malers Francesc Masriera ein schönes Titelbild fand. Lukasz Borowicz führt den Poznan Chamber Choir und das Poznan Philharmonic Orchestra mit großer Delikatesse, aber ansprechender bildhafter Schaulust in die Gemächer des jungen Haroun und kreiert mit den summenden Nilschilffern und den einfallenden Frauenstimmen, mit den vielfältigen Begleitfiguren und instrumentalen Ausmalungen ein kostbares orientalisches Gewirk aus tröpfelnden Klängen und Naturschilderungen; die Sprechtexte sind mir allerdings manchmal zu aufdringlich. Die Nummern – darunter Couplets, Mélodrame, Chanson, Lamento – nehmen den Gestus der opéra comique auf und besitzen eine Gounodsche Eleganz, die der amerikanische Tenor Eric Marry und der britische Bariton George Mosley aufzunehmen versuchen. Mit ihrem farbig schillernden, leuchtkräftigen Mezzosopran bewahrt die in Karlsruhe engagierte amerikanische Sängerin Jennifer Feinstein die Djamileh vor einer gewissen Fadesse und verleiht der sofort im Zentrum der Aufmerksamkeit stehende Sklavin verführerisch bestrickende Konturen, so dass bald klar ist, dass sie zu Harouns Favoritin aufsteigen wird; das Ghasel „Nour-Eddin, roi de Lahore“ und ihr Lamento „Sans doute l’heure est proche“ macht sie zu einer Vorbotin der Dalilah.
Als willkommene Ergänzung erscheint eine Fingerübung des 18jährigen Wunderkinds Bizet. Cameo Classics veröffentlichte nun die beiden identisch aufgebauten und sich in der Spieldauer nur um eine Minute unterscheidenden opéra comiques der Konkurrenten Bizet und Lecocq Le docteur miracle. Es handelt sich um eine am 7. Februar 1954 gesendete BBC-Studioaufnahme mit dem Bariton und späteren Opernleiter Bernard Lefort (u. a. Opéra de Paris und geschiedener Ehemann der unvergessenen Pressefrau Suzy Lefort/ G. H.) und den Sopranistinnen Fanély Revoil, Claudine Collart, bewährten Kräften, die man auch auf den in der Reihe Gaite Lyrique wiederveröffentlichten französischen Rundfunkaufnahmen von Opérettes und operas bouffes aus den 50er und 60er Jahren findet (2 CDs CC9113). Dazu der Tenor Alexander Young. Stanford Robinson dirigiert das Royal Philharmonic Orchestra. 1856 war Offenbch als Directeur des Bouffes-Parisiens auf die Werbeidee verfallen, einen Wettbewerb für junge Komponisten auszuschreiben, die sich an einer einaktigen opéra comique versuchen sollten. Als Preis winkte neben dem Preisgeld eine Aufführung an seinem Theater. Den Text lieferte Offenbachs Orphée- und Belle Hélène-Librettist Ludovic Halévy, den sich Bizet später für die Carmen schnappte. Bizet und der sechs Jahre ältere und erfahrenere Charles Lecocq teilten sich den ersten Preis, worüber Lecocq aufgebracht war, da er vermutete, Bizets späterer Schwiegervater und Onkel des Librettisten Fromenthal Halévy habe seine Hände im Spiel. Ausgehend von einer Komödie Sheridans schrieb Ludovic Halévy ein Vierpersonenstück, in dem ein junges Liebespaar, wie stets, dem widerstrebenden Vater, der gegen die Verbindung Laurettes mit einem Militärangehörigen ist, die Einwilligung zur Heirat abringt. Der junge Offizier Silvio kommt als der titelgebende Docteur miracle ins Haus des künftigen Schwiegervaters. Bizet lässt dazu im Geiste gleich die Soldaten aus Sevilla aufmarschieren und schuf alles in allem eine romantisch melodiöse, südlich scheinende – das Stück spielt in Padua – Musik mit vielen gustösen Höhepunkten, darunter das herrliche Quartett „Voici l’omelette“. Silvio gibt vor, das Omelette sei vergiftet und rettet als Wunderdoktor die Familie vor dem sicheren Tod, wodurch er Laurettes Hand erringt. Die Aufnahme strotzt vor Vitalität und überspringender vis comica, die Sänger sind ausgebuffte Theaterhasen, denen die Sprechtexte wie selbstverständlich von den Lippen gehen und die den Gesangsnummern alerte Sinnlichkeit geben. So muss französische Operette klingen. Unwiderstehlich. Ein Vergnügen, das fast unvermindert auch in Lecocqs Variante anhält, die stärker in der Tradition der klassizistisch-brillanten, kristallin klaren französischen Gesangskomödie steht.
Zeitensprung: Besucher des Aachener Theaters, die sich noch an die Uraufführung aus dem Jahr 2005 erinnern, dürfen sich freuen, dass Michael Gordons (*1956) Acquanetta jetzt in einer 2018 beim Prototype Festival gezeigten chamber version greifbar ist (CA21150). Gordon ist Kopf des 1987 als Bang on a Can formierten Komponistenkollektivs. Das interessanteste an den von Daniela Candillari mit dem Bang on a Can Opera Ensemble und dem Choir of Trinity Wall Street und Mikaela Bennett in der Titelrolle geleiteten zehn musikalischen Sequenzen, in denen sich Schauspiel, Musik und Film zu einem bizarren Tongemälde aus wilden Minimal Music-Fetzen verbinden, ist die Story des B-Movie-Stars Acquanetta. Die zu Lebzeiten nur als Acquanetta bekannte Schauspielerin, die zum „venezolanischen Vulkan“ stilisiert wurde, gelangte Anfang der 1940er Jahre nach Hollywood und wurde durch ihre Mitwirkung in Horrorfilmen kurzzeitig bekannt. Erst bei ihrem Tod 2004 wurde offenkundig, dass die Sexbombe nicht lateinamerikanischer, sondern afro-amerikanischer Abstammung war und Mildred Davenport hieß. Der Film ihres Lebens war „Captive Wild Woman“, in der sich durch das Zutun eines bösen Arztes eine durch Mutation aus einem Gorilla-Weibchen entstandene junge Frau wieder in einen Gorilla zurückverwandelt. Um diese zentrale Szene kreist Gordons mit einem langanhaltend ekstatischen „Oooh“-Geschrei eingeleiteter Thriller, der eine unerbittlich bohrende Intensität annimmt und den man wohl auf der Bühne erleben muss. Rolf Fath