Aus Raum und Zeit

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Dies ist vermutlich der Parsifal des 21. Jahrhunderts. So bald wird es keinen weiteren geben. Die Zeit der bedeutenden Studioaufnahmen ist vorbei. Vorbei auch die Zeiten, in denen eine der großen Firmen einen Mitschnitt mit der Sorgfalt und dem Aufwand herausbringen wird, wie es Sony jetzt nochmals machte, um den Exklusivstar im Spätsommer seiner Karriere in einer seiner besten Partien zu zeigen (Sony 4 CD). Dazu ein luxuriöses Ensemble mit Elina Garanča und Ludovic Tézier bei ihren Kundry- und Amfortas-Debüts und dem bewährten Georg Zeppenfeld als Gurnemanz.

Entstanden ist das dicke, schön bebilderte Hardcover-Buch mit je zwei CDs im vorderen und hinteren Innenteil in Zusammenarbeit mit der Wiener Staatsoper. Überhaupt scheinen, mit Ausnahme von Solti, alle großen Parsifal-Aufnahmen von Knappertsbusch über Karajan, Goodall und Barenboim bis Thielemann im Zusammenhang mit Live-Aufführungen entstanden zu sein. Oder mit einem Film. Wie vor gut 40 Jahren Armin Jordans Aufnahme, die zu den Parsifal-Erfahrungen seines Sohns Philippe gehören, der im Beiheft außerdem einen Parsifal-Bezug zu den Passionen Bachs herstellt.

Die von Philippe Jordan dirigierte Wiener Parsifal- Aufführung war eine aus Raum und Zeit gefallene Besonderheit. Eine während des zweiten Lockdowns während der Pandemie ohne Publikum nur für die ORF-Kameras stattgefundene und im Fernsehen übertragene Aufführung. Die beiden am 8. und 11. April 2021 mitgeschnittenen Aufführungen verzichten leider auf die auf dem CD-Aufkleber gepriesene „iconic production by star director Kirill Serebrennikov“. Die Inhaltsangabe, die von der Haftanstalt Monsalvat erzählt, stammt allerdings vom dem damals unter Moskauer Hausarrest stehenden Regisseur. Dafür erhalten wir eine ausgezeichnete, fast möchte man sagen ideale CD-Aufnahme. Jordans nüchterne und prosaische, möglicherweise auch den Aufführungsbedingungen geschuldete sachlich unprätentiöse Herangehensweise ist sicherlich nicht jedermanns Sache. Ein bisschen business as usual. Und damit gut zu Serebrennikovs Gefängnisalltag passend.

Jordan ist ein achtsamer, unpathetischer Gestalter, der bei ruhig breiten Zeitmaßen – Sony addiert die Zeiten der einzelnen Akte nicht, sie dürften sich aber irgendwo im gewohnten 100-70-75 Minuten-Maß bewegen -, auf Text und Details achtet. Auf diese Weise geraten auch die Gurnemanz-Erzählungen, das lange „Das ist ein andres“ und „Titurel, der fromme Held“ des ersten Aktes, weitgehend spannungsvoll und fast leicht lebendig, was auch an der plastischen Textgenauigkeit von Georg Zeppenfeld liegt, der seinem festruhenden schlanken Bass viele Farben und Nuancen abgewinnt, leise, beschwörend und auffahrend sein kann. Und dessen Gurnemanz im dritten Akt so ungemein resignativ und menschlich mitfühlend ist. Jordan erklärt das Ideal, „Aber im Letzten kann der Dirigent im Parsifal nicht ausschließlich führen, sondern muss vieles geschehen lassen, um dem Werk in seiner gewaltigen Dimension gerecht zu werden“. Die Wiener Philharmoniker genießen die Freiheit und umspielen die Erzählungen so farbenreich wie man es nicht oft hört. Die naseweisen und vorwitzigen Knappen und Ritter sind auffallend gut besetzt, ebenso der Titurel (Stefan Cerny), und die Chöre klingen so machtvoll, wie man es hier erwarten darf. Mit erzener Wucht, jeder Satz ein Manifest, so greift Ludovic Tézier nach Wagner. Sein Amfortas besitzt Autorität, strotzt vor Kraft (Erbarmen! Erbarmen!) und manchmal zu viel Leidensdruck.

Garanča und Kaufmann, die im ersten Akt mehr als nur dienliche Einwürfe geliefert hatten, die lettische Mezzosopranistin dazu noch mit glühender Intensität die „Stimme aus der Höhe“ gesungen hatte, machen den zweiten Akt zum Ereignis. Garanča ist als Kundry vielgesichtig und geheimnisvoll, lyrisch wie dramatisch, sanft wie verführerisch, mit nobler, nie entgleisender Gesangslinie, betörendem Timbre, sinnlicher Mittellage und Höhe. Jonas Kaufmanns baritonal bronzener Tenor, der nur inmitten der stimmig besetzten Blumenmädchen etwas sehr reif klingt, passt ideal dazu. Zwei kostbare Singdarsteller auf der Höhe ihrer Kunst, die mit wissendem Ausdruck die Lockungen des Textes und der Musik vom zartesten Piano bis zu den langen Phrasen aufgeheizter Leidenschaft ausreizen, ohne in vordergründige Exaltiertheit zu verfallen. Das ist ein besonderer Moment. Kaufmann hängt man auch im dritten Akt an den Lippen. Der müde gesungene Klingsor des Wolfgang Koch ist der Schwachpunkt der Aufnahme (alle Fotos von der Wiener und bei Arte gezeigten Produktion/Unitel Trailer/Youtube).  Rolf Fath