Es ist nun schon knapp zwei Jahrzehnte her, dass beim Schweizer CD-Label Sterling (neben den beiden Klavierkonzerten) die zwischen 1880 und 1920 entstandenen, acht nummerierten Sinfonien Hans Hubers (1852-1921) erschienen sind. Wie meist haben jedoch die bei ihrem Erscheinen international beachteten Wiederentdeckungen jedoch nicht den Weg zurück auf die Konzertprogramme geschafft. Es ist dies freilich kein Einzelfall, den Orchestern fehlt es an Mut (und Wissen). Was ließen sich da nicht für interessante Programme denken, auch wenn manches Werk vielleicht nicht höchsten qualitativen Ansprüchen gerecht zu werden vermag.
Hans Huber gehört in den Jahrzehnten vor und nach 1900 zu den bedeutendsten Musikerpersönlichkeiten der Schweiz, seine Werke wurden nicht nur dort einst viel gespielt. Als Komponist, Konservatoriumsdirektor und Pädagoge, Pianist, Dirigent, Mentor des Basler Musiklebens und des Schweizer Tonkünstlervereins hat Huber nachhaltig das Musikleben seiner Zeit geprägt. Die Beihefte der CDs informieren dazu recht gut. Studiert hatte er in der ersten Hälfte der 1870er Jahre am Leipziger Konservatorium, unter anderem bei Carl Reinecke. Hier, im Umfeld der Schumannianer, scheint er auch sein stilistische Prägung gefunden zu haben: Schumann, die Akademik der Leipziger Schule, Listzs Weimar, die norddeutsche Romantik um Brahms, aber auch Dvorak und Wagner klingen immer wieder in seinen Orchesterwerken durch. Richard Strauss hat er bewundert, von dessen Aufbruch in die Moderne sind seine, einer letztlich klassizistischen Romantik verpflichteten Orchesterwerke, die große Stimmungen, tonmalerische Poesie und Imitation bevorzugt, jedoch weit entfernt. Beim Wiederhören der Sinfonien fällt auf, wie perfekt die Werke handwerklich gearbeitet sind, wie genau Huber der Ausdruck gehorcht, wie gut er die Form beherrscht, welchen klanglichen Einfallsreichtum er dem großen romantischen Orchesterapparat immer wieder abzugewinnen vermag. Was fehlt ist die Originalität, das Aufblitzen des Haftenbleibenden. Seine reizende, 1885 entstandene – und ganz der Mode der Zeit folgend – „Sommernächte“ überschriebene Erste Serenade etwa ist hier ein gutes Beispiel, beschwört sie doch Modeströmungen und Traditionen gleichermaßen herauf ohne zu Individualität zu finden: schon ihre helle E-Dur Atmosphäre verweist deutlich auf Dvoraks Streicherserenade (1875), aber auch Brahms Serenaden (1850er) sind deutliches Vorbild, Mendelssohns „Sommernachtstraum“ und Dvoraks Holzbläservirtuosität klingt im Scherzo durch, das Adagio-Nocture schließlich ist so kunstvoll wie austauschbare Romantik.
Solche Verwandtschaften ließen sich für alle Werke zeigen, auch und gerade bei den Sinfonien. Die 5. Sinfonie in F-Dur (Sterling CDS-1037-2) etwa, sie trägt den Beinamen „Romantische, Der Geiger von Gmünd“, ist 1905 eine ziemlich unverfrorene Kopie der Idee von Berlioz’ Harold en Italie (1834), nur dass die Viola Berlioz’ hier zur Violine wird. Die Violine wird zum Protagonisten bei der Nacherzählung einer Schweizer Legende; Justinus Kerners Gedicht Der Geiger von Gmünd, der diese Legende romantisch-brav und betulich-ungelenk in Verse gegossen hat, wird als Pate dazu genommen. In akademischer Kunstfertigkeit kann man nun in drei Sätzen und 45 Minuten der Handlung folgen, der Reflex auf Richard Strauss’ Tondichtungen à la Zarathustra (1896) oder Heldenleben (1889) ist unverkennbar. Umgesetzt wird dies jedoch in einer rückwärtsgewandten, jeglichen aufkommenden Stilpluralismus leugnenden Tonsprache, auch wenn Huber dabei rasch durch die Tonarten schreitet. Die Violinkonzerte von Brahms, Tschaikowsky und abermals Dvorak standen ebenso Pate. In diesem epigonalen Konglomerat aus Ideen und Stilen findet sich dann wieder kunstfertiges Handwerk: Variationssätze, Tanz- und Henkersmarsch-Kontraste, Naturstimmungen und natürlich der expressiv erzählende und imitierende Solopart der Geige. Hansheinz Schneeberger, ein großer Name bundesdeutscher Violintradition, spielt diesen Zwitter zwischen Solokonzert, Sinfonie und Tondichtung unaufgeregt, gefühlvoll und mit präsentem Ton.
Ähnlich verhält es sich mit Hans Hubers Böcklin-Sinfonie in e-moll (Nr.2,1897/1900, STERLING CDS-1022-2). Auch hier findet sich wieder ein großer kunstvoller Variationssatz, diesmal Bildtiteln Arnold Böcklins folgend: vom Gefilde der Seligen über das Spiel der Wellen bis zum Einsiedler begegnet man hier abermals dem romantischen Bildmaterial, das um 1900 freilich längst banalisiert und massentauglich popularisiert war. Diesen Aspekt freilich bleibt Huber im Klangbad seines romantischen Orchesters schuldig. Die Ironie seines Vorbildes Richard Strauss oder seines dichtenden Schweizer Zeitgenossen Frank Wedekind (um nur zwei Beispiel zu nennen), die eben jene romantischen Motive um 1900 als bildungsbürgerliche, austauschbare Modehülsen entlarvten, ist Hans Huber verschlossen. Aber auch der Schritt eine klangliche Moderne, wie sie wenig später am Beispiel Böcklins von Rachmaninow in seiner Tondichtung Eine Toteninsel (1909) oder Max Reger in seinen Vier Tondichtungen nach Arnold Böcklin op. 128 (1913) gelingt, ist fern.
Hans Hubers Sinfonik bleibt klanglich ebenso vollmundig wie naiv, sie verlängert eine kunstvoll gestaltete und mit großem Apparat agierende Deutsche Romantik ins 20. Jahrhundert, so als würde um sie herum musikalisch nichts geschehen. Die Stuttgarter Philharmoniker haben das in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre unter ihrem damaligen Chef Jörg-Peter Weigle in dieser klanglichen Tradition aufgenommen. Zuverlässig, mit groß aufblühendem Klang, mit den nötigen dramatischen Anklängen, feinen, volkstümlich inspirierten kammermusikalischen Episoden und einem unverstelltem Erzählton. Keine Brüche und Fingerzeige, keine Irritationen beeinträchtigen das romantische Glück einer heilen, mit poetische Mitteln zu erklärenden Weltsicht. Das klingt fast 20 Jahre später in der präsenten Aufnahmeakustik noch immer grundsolide, aber auch etwas verwechselbar. So wie die Werke selbst.
Moritz Schön
Dazu auch noch: Hans Huber (1852-1921) Symphony No. 3 Heroische (1902) [42.35] Symphony No. 6 (1911) [34.51] Stuttgarter Philharmoniker/Jörg-Peter Weigle world premiere recordings STERLING CDS-1037-2 [77.31]