Tendenziell verhalten

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Gerade hat er bereits das 85. Lebensjahr vollendet und darf ohne Wenn und Aber zu den großen Alten unter den lebenden Dirigenten gezählt werden, doch ans Aufhören scheint Marek Janowski nicht zu denken. Zugegeben, im Vergleich mit Herbert Blomstedt, dem Nestor der heutigen Dirigentenzunft, wirkt er beinahe jung. Janowski ist gerade im deutsch-österreichischen Repertoire der Romantik zu Hause. Umso merkwürdiger, dass erst jetzt ein Zyklus der vier Sinfonien von Robert Schumann unter seinem Dirigat herauskommt (Pentatone PTC 5186 989). Auf den ersten Blick zumindest. Es bedurfte einer gewissen Rechercheleistung um herauszufinden, dass Janowski tatsächlich schon einmal einen Schumann-Zyklus einspielte, nämlich Mitte der 1980er Jahre mit dem Royal Liverpool Philharmonic Orchestra für das Label ASV (lange vergriffen und wohl nur kurzzeitig auf CD erschienen). Und dann gibt es da noch die 1994 entstandene Frühlingssinfonie mit dem SWF-Orchester auf einer in Vergessenheit geratenen Disc von Arte Nova, wo neben ihm noch Arnold Östmann und Hans Vonk weitere Schumann-Werke beisteuern. Und wenn wir schon dabei sind: Schon 1978 leitete Janowski die Eterna/EMI-Koproduktion der in Dresden gemachten Einspielung des Schumann-Violinkonzerts mit Ulf Hoelscher als Solisten (auch bis heute nicht auf CD übernommen). Auf den zweiten Blick also doch eine beachtliche Erfahrungen des Dirigenten in Sachen Schumann. Schaut man sich Janowskis Konzertprogramme der letzten Jahre an, so tauchten Schumanns Sinfonien folgerichtig durchaus ab und an auf.

Wie aber klingt Schumann á la Janowski denn nun? Die oben genannte Aufnahme des orchestral durchaus gewichtigen Violinkonzerts, die mir durch glückliche Umstände vorliegt, empfand ich seinerzeit dirigentisch unauffällig. Tatsächlich ist Janowskis Ansatz auch bei den Sinfonien kein euphorisch-ekstatischer wie weiland derjenige des unvergessenen Leonard Bernstein. Dies muss per se nichts grundsätzlich Verkehrtes sein. Fraglos trägt die unstrittige langjährige Erfahrung Janowskis dazu bei, dass er bei der nunmehrigen Neueinspielung durchaus den Schumann’schen Tonfall trifft und nicht versucht, dem Erzromantiker die Romantik auszutreiben, wie dies manche Vertreter der HIP-Bewegung ohne nachhaltigen Erfolg taten. Die Tempi, die Janowski anschlägt, vermeiden die Extreme; weder wird gehetzt noch verschleppt. Die zum Zuge kommende Dresdner Philharmonie erweist sich als zugleich voll tönender wie auch beweglicher Klangkörper. Detailfreudiges Hervorheben gerade lyrischer Momente ist eine Stärke dieser Lesart. Andererseits fehlen die orchestralen Ausbrüche, etwa im Kopfsatz und bei der Überleitung zum Finale der Vierten, wie sie einst Wilhelm Furtwängler in seiner legendären DG-Einspielung maßstäblich und wie in Stein gemeißelt vorlegte.

Zur Frühlingssinfonie hat Janowski offenbar – wie oben schon erwähnt – ein besonders enges Verhältnis. Seine geradlinige Lesart der Mitte bestätigt den allgemein vorherrschenden Eindruck, dass ein Bis-an-die-Grenzen-Gehen gar nicht beabsichtigt ist. Die Tiefgründigkeit eines Otto Klemperer (EMI), der zumal im Kopfsatz ein überlebensgroßes Klanggemälde entstehen lässt, bleibt unerreicht. Von der überschwänglichen Lebensfreude, die an Botticellis Primavera denken lässt und die musikalisch in der zu Unrecht vergessenen Einspielung Hans Swarowskys (Audio Fidelity) mustergültig umgesetzt scheint, ist Janowski ein gutes Stück entfernt. Am stärksten gelingt ihm das verinnerlichte Larghetto.

Mehr und mehr beschleicht einen das Gefühl, dass das etwas pauschal geratene Klangbild seinen Anteil daran hat, dass Verhaltenheit vorherrscht und der Funke nur stellenweise überspringen will (aufgenommen wurde zwischen Mai 2021 und Juni 2023 im Kulturpalast Dresden). Nahezu erwartbar, kann auch in der als schwierig geltenden Sinfonie Nr. 2 – laut Günter Wand „ein krankes Werk“ – der langsame Satz, das großartige Adagio espressivo, am ehesten punkten. Die unbändige Überzeugungskraft des genannten Bernstein (CBS und DG), aber auch diejenige des eigentlich als nüchtern geltenden Ernest Ansermet (Decca) wird zumal in den Ecksätzen nicht entfesselt.

Schließlich die Rheinische, anders als die Nummerierung glauben macht, Schumanns finale genuine sinfonische Schöpfung und ob ihrer Fünfsätzigkeit aus der Reihe tanzend. Sie zu einer Schumann’sche Eroica erhöhen zu wollen – wie weiland auf seine Art vortrefflich Carlo Maria Giulini (EMI und DG) –, ist mitnichten Janowskis Absicht. Rein tempomäßig nimmt er das Lebhaft im Kopfsatz ernst, ohne exaltiert zu werden. Ein Eindruck von der im Rheinland vorherrschenden Lebensbejahung gelingt im nachfolgenden Scherzo. Gleichzeitig wird die berühmte Feierlichkeit des langsamen Satzes nicht überbetont und ersteht der Kölner Dom vor dem geistigen Auge insofern tendenziell säkularisiert. Im Schlusssatz kehrt die Ausgelassenheit zurück. In summa womöglich das Highlight dieses neuen Zyklus.

Das nicht allzu umfangreiche Beiheft mit Einleitungstext von Jörg Peter Urbach (auf Deutsch und Englisch) ist grundsolide, befasst sich allerdings allein mit den vier Sinfonien selbst. Kein Wort darüber, wieso sich Marek Janowski im hohen Alter nun abermals diesen Werken Schumanns widmet und welche Gedanken der Dirigent selbst dazu haben mag. Daniel Hauser