Schwanenruf und Feuervogel


Weder Jean Sibelius noch Igor Strawinski sind Namen, mit denen der legendäre rumänische Dirigent Sergiu Celibidache heutzutage üblicherweise sofort in Verbindung gebracht wird. Nichtsdestoweniger nahm er zumindest einige Werke dieser trotz ihrer Gegensätzlichkeit für die Musik des 20. Jahrhunderts so wichtigen Komponisten in sein Repertoire auf. Im Falle von Sibelius waren es die zweite und die fünfte Sinfonie; was Strawinski anbelangt, vor allem die Feuervogel-Suite. Es ist nicht so, dass diskographisch von besagten Stücken unter Celibidache bislang nichts greifbar gewesen wäre. Die Deutsche Grammophon brachte bereits vor über zwanzig Jahren eine SWR-Produktion der Suite von 1978 heraus. Selbiges gilt für einen bei der DG aufgelegten Rundfunkmitschnitt der Fünften von Sibelius mit dem Schwedischen Radio-Sinfonieorchester aus Stockholm 1971. Wenn die Münchner Philharmoniker auf ihrem Eigenlabel nun beide Werke in bislang unveröffentlichten Konzertmitschnitten auf den Markt bringen (MPHIL0025), dann ist dies gleichwohl von Bedeutung, da es sich um eben um Aufnahmen aus der für nicht wenige maßgeblichen Münchner Zeit des Dirigenten handelt. Beim Strawinski ist der zeitliche Abstand zur bisher bekannten Rundfunkproduktion nicht allzu groß (1982), während beim Sibelius über anderthalb Jahrzehnte zwischen den Aufnahmen liegen (1988). Ende der 1980er Jahre hatte sich der Spätstil Celibidaches vollentwickelt, wovon in Sonderheit seine berühmten (aber auch umstrittenen) Bruckner-Exegesen zeugen.

Interessanterweise veränderten sich die reinen Spielzeiten im vorliegenden Falle gar nicht so stark im Vergleich mit den Vorgängeraufnahmen. Schon die Stockholmer Interpretation der fünften Sinfonie von Sibelius ist ungewöhnlich breitangelegt, hinsichtlich der reinen Spielzeiten nicht unähnlich jener des alten Bernstein (der indes völlig andere Akzente setzt). In München dauert der Kopfsatz annähernd 16 Minuten, das Andante neun Minuten und der Schlusssatz fast elf Minuten. Man könnte es in gewisser Weise den Versuch einer „Brucknerisierung“ des finnischen Nationalkomponisten nennen. Vielleicht ist dies auch der Grund, wieso Celibidache daneben nur noch die genannte Zweite ab und an aufs Programm setzte, käme dieses Konzept bei den übrigen Sinfonien doch vermutlich an seine Grenzen. Ist man allerdings bereit sich darauf einzulassen, so lässt sich dieser in sich ruhenden Lesart doch einiges abgewinnen, auch wenn die dramatischen Ausbrüche ästhetisiert daherkommen. So sind insbesondere im Finale – trotz mitreißendem „Schwanenruf“ – die so essentiellen Pauken leider zu stark in den Gesamtklang integriert. Sieht man davon ab, fallen die berüchtigten akustischen Unzulänglichkeiten der Münchner Philharmonie im Gasteig in diesem Mitschnitt vom 26. März 1988 nicht stark ins Gewicht, Störgeräusche aus dem Publikum gibt es kaum.

Wie bereits erwähnt, ist Celibidaches Interpretationsansatz bei der Feuervogel-Suite (in der Fassung von 1919) nicht grundlegend anders als in der altbekannten SWR-Aufnahme. Es geht mit 25 Minuten Gesamtspielzeit eher getragen, aber – außer vielleicht zu Beginn der Berceuse – nicht verschleppt zu. Celibidache verfolgt legitimerweise einen französischen Ansatz, russischen Furor sucht man vergebens. Das Klangbild aus dem Herkulessaal der Münchner Residenz vom 28. Oktober 1982 ist gutes, wenn auch nicht audiophiles Stereo.

Das zweisprachige Booklet (Englisch, Deutsch) wartet mit sehr guten Einführungstexten (von Michael Kube und Volker Scherliess – letzterer leider kürzlich verstorben) auf. Fazit: Ein Finne und ein Russe – zumindest musikalisch also nach wie vor auf einer Disc vereint. Daniel Hauser