Merrie England

 

Arthur Sullivan (1842-1900) ist heutzutage in erster Linie als Komponist leichter Opern und Operetten bekannt, was ihn im angelsächsischen Raum zu einer der populärsten Gestalten in der Musikgeschichte macht. Dass ihm indes aufgrund der Wertschätzung seitens des britischen Königshauses auch andere Kompositionen zukamen, ist mittlerweile beinahe vergessen. Festmusik für die Royals komponierte er schon in den 1860er Jahren, darunter ein Festival Te Deum (1872), mehrere Oden, den Imperial March (1893) und ein weiteres Te Deum (1900) – sein letztes vollendetes Werk. Anlässlich des Diamantenen Thronjubiläums von Königin Victoria im Jahre 1897 schrieb er nicht nur die Jubilee Hymn, sondern auch das Ballett Victoria and Merrie England. Die Zuneigung der Queen für Sullivan zeigte sich schon 1883, als er den Ritterschlag erhielt – seinerzeit für einen Komponisten eine alles andere als selbstverständliche Auszeichnung. Tatsächlich unterschieden sich die damaligen englischen Ballette deutlich von jenen aus Russland (Tschaikowski) und Frankreich (Delibes). Stets einaktig angelegt, waren sie vielmehr Mimendramen in zahlreichen Szenen.

 Victoria and Merrie England wurde am 25. Mai 1897 am 1936 abgerissenen Alhambra Theatre in London uraufgeführt, erfreute sich großen Zuspruchs und hielt sich bis 1912 im Repertoire. In acht Szenen untergliedert, ist das Stück eine Apotheose auf die britische Geschichte, beginnend mit Ancient Britain, also dem vorchristlichen Britannien, über die elisabethanische Epoche in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts (May Day in Queen Elizabeth’s Time – zwei Szenen umfassend), die legendäre Jagdgottheit Herne, derer sich Shakespeare bediente (The Legend of Herne the Hunter – wiederum zwei Szenen), die Zeit des Stuartkönigs Karl II. in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts (Christmas Revels in the Time of Charles II) bis hin zur 1838 erfolgten Krönung Victorias (Coronation of Queen Victoria) und dem nämlichen Jubiläumsjahr als glorreichen Abschluss (1897 – Britain’s Glory). Die Szenen dauern zwischen sechs und gut zwanzig Minuten. Musikalische Zitate aus Rule, Britannia, The British Grenadiers und am Ende der Nationalhymne God Save the Queen sind geschickt eingebaut. Ein wirkliches Meisterwerk ist diese Ballettmusik eher nicht. Die Musik wirkt vielfach austauschbar. Am stärksten ist sie tatsächlich in den wenigen dramatischen Momenten, besonders beim Sturm im Wald von Windsor aus Herne the Hunter. Gleichwohl wird ein spannender Blick auf den Komponisten Arthur Sullivan abseits seiner ungleich berühmteren Bühnenwerke eröffnet.

Die Weltersteinspielung des Werkes besorgte – wie so häufig – das umtriebige Label Marco Polo (Aufnahme: Dublin, September 1993; erschienen 1995). Fast drei Jahrzehnte später sorgt Naxos für eine Neuauflage (8.555216). Es zeichnet verantwortlich die irische RTÉ Sinfonietta unter dem Dirigat des in diesem Repertoire bewährten Andrew Penny. Die Darbietung ist künstlerisch vollkommen angemessen und überzeugt auch klanglich. Die Textbeilage (bloß auf Englisch) fällt labeltypisch spartanisch, aber noch ausreichend aus. Daniel Hauser