Letzte Werke in frischer Interpretation

 

Es war die Idee des cleveren Wiener Verlegers Tobias Haslinger, einige Lieder, die Franz Schubert kurz vor seinem Tod (1828) komponiert hat, posthum als Zyklus unter dem Titel Schwanengesang (D. 957) zu veröffentlichen. Ob das im Sinne seines Schöpfers war und ob sich dieser beim Niederschreiben seines nahen Todes bewusst war, darüber streiten sich die Gelehrten. Einige wenige Stücke der Sammlung strahlen ja durchaus eine gewisse Lebensfreude aus. Was einen Schwanengesang ausmacht, hatte Schubert schon Jahre vorher (D. 744, 1822) in einem so betitelten Lied auf einen Text von Johann Senn zum Ausdruck gebracht: „Vernichtungsbang, verklärungsfroh – das bedeutet des Schwanen Gesang!“

Der Tenor Julian Prégardien und der Pianist Martin Helmchen scheinen diese Dialektik zum Ausgangspunkt ihrer Interpretation genommen zu haben.

Zunächst ändern sie die Abfolge der ohnehin willkürlich angeordneten 14 Lieder, streichen die abschließende Taubenpost und fügen dagegen den genannten Schwanengesang D. 744 ein, setzen des weiteren Felix Mendelssohn-Bartholdys Lied ohne Worte op. 30/1 als Intermezzo der beiden Rellstab- und Heine-Blöcke ein und das Schwanenlied op. 1/1 seiner Schwester Fanny (gleichfalls auf einen Text von Heine) als Epilog.

Frisch und unvorbelastet gehen sie dann die Lieder an, die ja in einer schier unendlichen Zahl von hochkarätigen Einspielungen der Vergangenheit vorliegen. Und sie wecken vom Start weg Interesse. Der Abschied beginnt sinnigerweise den Reigen, und wir erleben den auf seinem Rösslein munter Abreisenden in raschem Trab (und nicht „mäßig geschwind“, wie es in den Noten heißt). Den Kontrast zu diesem fröhlichen Entree bietet dann das unmittelbar nachfolgende trübsinnige In der Ferne, wo die vage Tempo-Angabe „ziemlich langsam“ als Adagio aufgefaßt wird.

Spätestens mit der dritten Nummer, dem oft so schmählich verkitschten Ständchen haben die beiden Künstler den an großen Vorbildern geschulten Hörer gewonnen. So völlig unsentimental und doch gefühlsinnig und intim hört man dieses Lied selten, und auch hier hat der Pianist, der sich auch sonst durchweg als ein ebenbürtiger Partner des Sängers erweist, mit seiner filigranen Begleitung wieder entscheidenden Anteil am Erfolg. Wechselbäder der Gefühle, dramaturgisch geschickt gesetzt, prägen ihre Deutung auch im weiteren Verlauf. Dabei strahlt die helle und klare lyrische Tenorstimme Prégardiens, die in der Höhe beträchtlichen Glanz entwickelt, eine Diesseitsfreude aus, die dem depressiven Charakter einiger Gesänge erst einmal entgegensteht. Umso erstaunlicher, wie viele unterschiedliche Farben er diesem Instrument abgewinnen kann. Das zeigt sich vor allem bei den letzten Titeln (Die Stadt, Der Doppelgänger, Ihr Bild, Der Atlas), wo er den Verlustschmerz mit existentieller Dringlichkeit vermittelt, kulminierend im kontrollierten Aufschrei „und jetzo bist du elend“.

Als ein instrumentalerSchwanengesang“ ist dem Zyklus auf der 2. CD das Streichquintett D. 956 angefügt. Eine durchaus interessante Kombination. Und obwohl es von diesem Gipfelwerk der Gattung auch zahlreiche erstklassige Aufnahmen gibt, wird man die hier vorliegende nicht als „eine mehr“ empfinden, denn die fünf Musiker finden einen eigenen und persönlichen Ton in ihrem Zusammenspiel. Es handelt sich auch fast um ein Familienunternehmen. Zum Primarius Christian Tetzlaff gesellen sich sein Schwager Florian Donderer (Violine), seine Schwester Tanja (Cello) sowie Martin Helmchens Frau Marie-Elisabeth Hecker (Cello) und Rachel Roberts (Viola). Im gemeinsamen Musizieren verbinden sie Sachlichkeit und Dringlichkeit. Das heißt, sie bleiben bei penibler Beachtung aller Vortragsbezeichnungen ganz eng am Notentext, stellen ihn also ohne emotionale Drücker gleichsam objektiv aus. Durch volle Konzentration erreichen sie zugleich eine ungeheure Innenspannung im langen Kopfsatz wie im sehr breiten Adagio, erzielen mitreißende Wirkungen im hyperpräzisen Presto-Scherzo und im rhythmisch scharf pointierten letzten Satz (Allegretto-Più Allegro). Bei einem gut eingespielten Kammermusik-Team ist das sensible Aufeinanderhören fast eine Selbstverständlichkeit. Es fällt dabei auf, dass sich Christian Tetzlaff immer wieder sehr zurücknimmt, um die Partner zur Geltung zu bringen, und insgesamt seinen Part mehr kontemplativ als brillant ausdeutet.

Auch Musikfreunden, die schon mehrere Aufnahmen der beiden Schubertschen Spätwerke besitzen, ist diese Publikation vorbehaltlos zu empfehlen. (Alpha Classics 748/ 4. 10. 21). Ekkehard Pluta