Totenmesse a la française

Die Grande Messe des morts von Hector Berlioz, so der offizielle Name für sein Requiem von 1837, stellt die gewaltigste Vertonung einer Totenmesse überhaupt dar. Trotz ihrer Ausmaße besteht diskographisch nicht eigentlich ein Mangel an Aufnahmen. Die neueste Hinzufügung stellt die Einspielung des Königlichen Concertgebouw-Orchesters Amsterdam auf seinem Eigenlabel dar (RCO 19006). Der italienisch-britische Dirigent Antonio Pappano leitet eben dieses Orchester. Der Chor kommt, wie der Dirigent, aus Italien, es handelt sich nämlich um denjenigen der Accademia Nazionale di Santa Cecilia in Rom, dessen Klangkörper Pappano bereits seit 2005 vorsteht. Endgültig international wird die Neuaufnahme durch das Mitwirken des mexikanischen Tenors Javier Camarena.

Die Messlatte beim Berlioz-Requiem ist hoch gelegt seit der bis heute maßstäblichen Einspielung von Colin Davis für Philips aus dem fernen Jahre 1969. Weder seine Neuauflage aus Dresden von 1994, geschweige denn Davis‘ Spätestaufnahme aus London von 2012 konnten dies toppen. Die Erstaufnahme wurde zwischenzeitlich neu gemastered und gar im Mehrkanalformat bei Pentatone wiederum aufgelegt und ergänzt die grandiose künstlerische Darbietung nun endlich auch klanglich kongenial. Überhaupt ist die Tontechnik bei diesem Werk häufig überfordert. Es gibt zudem wenige Stücke in der klassischen Musik, bei denen Mehrkanalton wirklich einen solchen Mehrwert erbringt, bedingt durch den vom Komponisten sehr auf Räumlichkeit ausgelegten Effekt insbesondere im Tuba mirum mit seinen vier Fernorchestern in allen Himmelsrichtungen. Insofern muss die Neueinspielung unter Pappano tatsächlich hervorgehoben werden, bietet die SACD doch neben Stereo auch Multi-Channel. Im Amsterdamer Concertgebouw am 3. und 4. Mai 2019 eingespielt, kann man also State of the Art erwarten. Für diese Rezension abgehört wurde indes lediglich die gewöhnliche Stereo-CD-Tonspur – und schon sie überzeugt außerordentlich.

Wie einst Colin Davis, so hat ungeahnt auch Pappano ein Händchen für Berlioz‘ Totenmesse. Dies rührt womöglich durch seine langjährige Erfahrung als Operndirigent her (er leitet das Royal Opera House, Covent Garden, seit zwanzig Jahren). Sinn für die notwendige Dramatik, aber auch die dem Requiem innewohnende Lyrik sind mit der Schlüssel für eine überzeugende Darbietung. Pappano hat die monströsen Klangmassen stets unter Kontrolle, profitiert von der Weltklasse des Concertgebouw-Orchesters und kann sich auf den gleichermaßen formidablen Chor, der die zweite Hauptrolle spielt, verlassen (Chorleitung: Ciro Visco). Im kurzen Tenorsolo im Sanctus erweist sich Javier Camarenas sonorer Tenor als Tüpfelchen auf dem i.

In der Summe kann also durchgängig höchstes Niveau bescheinigt werden und gesellt sich nach über einem halben Jahrhundert eine ähnlich gelungene moderne Einspielung zum Klassiker von Colin Davis. Daniel Hauser