Celibidache, Lehmann, Cluytens und Bernstein

Vor die Aufgabe gestellt, Einspielungen unterschiedlicher Dirigenten summarisch zu besprechen, sucht man gerne nach einem gemeinsamen Nenner. Selten wird er in der künstlerischen Gestaltung zu finden sein, dafür sind die Pult-Maestri in der Regel zu individuell. Verbindungslinien lassen sich eher en detail ziehen: Repertoirevorlieben, Klangideal u.a. An dieser Stelle bietet sich ein ganz äußerliches Faktum als roter Faden an. Sowohl Sergiu Celibidache als auch André Cluytens, Fritz Lehmann und Leonard Bernstein haben die Berliner Philharmoniker geleitet, auch wenn das bei den hier vorstellten Aufnahmen nicht überall dokumentiert ist.

Hinzuweisen ist auch auf die klanglich ausserordentlichen Aufnahmen Celibidaches beu audite, wie bereits in operalounge.de besprochen

Hinzuweisen ist auch auf die klanglich außerordentlichen Aufnahmen Celibidaches bei audite, wie bereits in operalounge.de besprochen

Sergiu Celibidache war bekanntermaßen, i.G. zu seinem Antipoden Herbert von Karajan, welcher ihn nach dem Tode Wilhelm Furtwänglers bei der Besetzung des philharmonischen Chefpostens überrundete), strikt gegen Studioproduktionen und  die kommerzielle Verwertung von Konzertmitschnitten, da er einzig die Wirkung des „hic ed nunc“ gelten ließ. Rundfunkaufnahmen ließ er hingegen in etwas inkonsequenter Weise zu. Nach seinem Tod 1996 wurden – mit Zustimmung von Sohn Serge – die meisten seiner Konzerte mit den Münchner Philharmonikern (Celibidaches letzte Chefposition) von EMI ausgewertet, während sich die DG an die Archivbestände des Süddeutschen Rundfunks heranpirschte (hier wirkte der Dirigent zwischen 1972 und 1977). Aus dem Ausland waren schon zuvor diverse Mitschnitte zugänglich, so die kompletten Brahms-Sinfonien mit dem Mailänder RAI-Orchester vom Ende der 50er Jahre.

Die „Erste“ von Brahms gibt es nun auch in einer Konzertaufzeichnung mit den Wiener Symphonikern von 1952 (auf dem hauseigenen WS-Label). Dieses Jahr markiert in der Karriere von Sergiu Celibidache einen Wendepunkt, wurde ihm eine leichte, unterschwellige Pulteitelkeit von seinem Lehrer Heinz Tiessen mit gestrengem Nachdruck ausgetrieben. Die Wiener Aufführung vom 30.Oktober lässt keine Extravaganzen spüren und schon gar nicht die später oft kritisierten Zeitlupentempi. Brahms‘ Musik klingt vorwärts drängend, frisch und dramatisch impulsiv. Editorisch irritiert allerdings, dass nicht das komplette Konzert (es enthielt noch Franz Liszts „Les Préludes“ und das 2.Klavierkonzert von Maurice Ravel mit Robert Casadesus) veröffentlicht wurde. Das holte dann später Orfeo nach. Da das VÖ-Datum September 2013 noch nicht solange zurückliegt, darf in diesem Zusammenhang an die audite-Kassette „Celibidache – The Berlin Recordings 1945-1957“ (13 CDs, Berliner Philharmoniker, RSO Berlin) erinnert werden, welche ein hochinteressantes Programm mit vielen unbekannten Werken offeriert, bei welchen der Schwerpunkt auf dem 20. Jahrhundert liegt.

cluytensIn dieser Anthologie befindet sich auch eine Aufnahme von Georges Bizets herrlich jugendfrischer C-Dur-Sinfonie, mit welcher zu André Cluytens übergeleitet werden kann. Dessen Interpretation entstand im gleichen Jahr 1953, nimmt sich im Adagio ganze 2 Minuten mehr Zeit, ist im Finale hingegen um 40 Sekunden rascher. Aber das sind natürlich keine wirklich qualitativen Kriterien. Die Lockerheit und Quirligkeit der Musik sind hier wie dort stimmig eingefangen. Obwohl Cluytens um 1960 mit den Berliner Philharmonikern sämtliche Sinfonien Ludwig van Beethovens erarbeitete und ab 1955 äußerst erfolgreich in Bayreuth wirkte, gilt er doch als besonders kompetenter Sachwalter für die französische Musik. Dem trägt eine 4-CD-Kollektion mit Einspielungen aus den frühen 50er Jahren bei Documents Rechnung (es handelt sich bereits um eine Wiederauflage). Das über weite Strecken zarte Requiem von Gabriel Fauré erfährt unter Cluytens‘ Händen eine eminent sublime Darstellung, bei der Sinfonie César Francks und der selten zu hörenden „Symphonie sur un chant montagnard francais“ von Vincent d’Indy (den Klavierpart hat Aldo Ciccolini inne) setzt es freilich so manche Prankenhiebe. Selbstverständlich sind auch Claude Debussy („La Boite à joujoux“) und Maurice Ravel (beide „Daphnis“-Suiten, „Tombeau de Couperin“) berücksichtigt. Trotz Mono-Klangbild klingen alle Werke räumlich und rauschhaft. Mit dem 2. Klavierkonzert von Beethoven (Solomon, Philharmonia Orchestra) und Mozarts Konzert Nr. 24, welches ganz besonders auch von Clara Haskils natürlichem Anschlag lebt (das Orchestre National de France begleitet bei diesem öffentlichen Konzert) wird zu Beginn ein „klassischer“ Akzent gesetzt. Das Mozart-Werk ist übrigens auch in einer weiteren Cluytens-Edition von Documents zu finden, einer firmen-typischen 10-CD-Kollektion, welche jüngeren Datums ist, hier allerdings nicht zur Besprechung ansteht.

fritz lehmannZu den Karrierestationen von Fritz Lehmann (1904-1956) gehören Kleinstädte wie Hildesheim und Bad Pyrmont. Sein Studium absolvierte der gebürtige Mannheimer u.a. in Göttingen, wo er 1934 die Händel-Festspiele ins Leben rief und nach dem Kriege nochmals leitete. Seine Vertrautheit mit barockem Repertoire dokumentiert u.a. eine Bach‘sche Matthäus-Passion (1949, mit dem ganz jungen Dietrich Fischer-Dieskau, Elfride Trötschel, Helmut Krebs  u.a.) oder auch das Weihnachtsoratorium dieses Komponisten (Gunthild Weber, Sieglinde Wagner, Helmut Krebs, Heinz Rehfuß – Dirigatübernahme bei den letzten Kantaten: Günther Arndt). Auf Magdalen lernt man den Dirigenten mit Franz Schubert („Unvollendete“) und Beethoven (Leonore III, 2. Sinfonie) kennen. Unter seiner Stabführung spielen die Berliner Philharmoniker mit vibrierender Emotion und großer Klangintensität. Gültige Interpretationen, an die rechtens erinnert wird.

Bernstein beethovenBei den „Berlinern“ war auch Leonard Bernstein gelegentlich zu Gast, selten allerdings, zumal sich die rechte Chemie zwischen ihm und dem Orchester nicht recht einstellen wollte (anders als bei den Kollegen in Wien). Anzuzeigen ist seine erste Einspielung von Beethovens „Missa solemnis“ (1962). Mit den Concertgebouw-Musikern hat er das Werk 16 Jahre später nochmals aufgenommen (Edda Moser, Hanna Schwarz, René Kollo, Kurt Moll). Die von Alto neu herausgebrachte Produktion mit dem New York Philharmonic, voll und präsent im Klang, zeigt einmal mehr, dass Beethoven dem Gigantismus eines Gustav Mahler durchaus nahe steht. Und seine Neigung, die menschliche Stimme seiner Inspiration auf mitunter fast „inhumane“ Weise dienstbar zu machen, wird hier ebenso evident wie bei der Fidelio-Leonore. In der Messe haben sich die hohen Frauenstimmen, Solo wie Chor, oft über lange Strecken im Bereich des hohen „C“ anzusiedeln, eine tour de force, für welche der Westminster Choir wie auch die mit einem leuchtendem Sopran aufwartende Eileen Farrell (einmal bewältigt sie souverän auch das “Des“) nicht hoch genug gepriesen werden können. Von den anderen Solisten macht Kim Borg mit seinem voluminösen Bass noch besonderen Eindruck, während Richard Lewis bei aller Kultur des Singens mitunter etwas weichlich klingt. Carol Smith gibt ihren Alt-Part mit angenehmer Wärme. Das Beethoven‘sche Gipfelpanorama ist natürlich eine Herausforderung für den Ekstatiker Bernstein. Er bietet eine pathosgesättigte, aber auch klangdifferenzierte und rhythmisch enorm prägnante Interpretation.

Christoph Zimmermann

 

Johannes Brahms: Sinfonie Nr. 1 c-Moll, opus 68. Wiener Symphoniker: Sergiu Celibidache (1952) (WS 002)

André Cluytens – Noble Maitre de Musique (Documents 233113)

Fritz Lehmann dirigiert Schubert und Beethoven (Magdalen 8020)

Beethoven: Missa solemnis (Eileen Farrell, Carol Smith, Richard Lewis, Kim Borg, Westminster Choir, New York Philharmonic: Leonard Bernstein) (alto 1240)