Deutsch-französische Aspekte

 

Konnte man bisher in puncto CD-Würdigung den Eindruck gewinnen, der zweite große Jubilar des Jahres 2019, Jacques Offenbach (200. Geburtstag), sei im Vergleich zu Hector Berlioz (150. Todestag) ein wenig in den Hintergrund gedrängt worden, so berichtigt Warner Classics dies nun umso mehr durch eine wahrhaft monumentale, nicht weniger als 30 CDs umfassende Box Offenbach – The Operas & Operettas Collection (Warner 0190295499570).

Bereits auf den ersten Blick steht bei dieser Veröffentlichung der deutsch-französische Aspekt im Vordergrund, der sich bei Offenbach natürlich auch biographisch niederschlägt. Enthalten sind nicht nur französischsprachige Aufnahmen der Opern und Operetten, sondern auch viele deutschsprachige Produktionen von Orpheus in der Unterwelt, Die schöne Helena, Pariser Leben (alle geleitet von Willy Mattes), Die Großherzogin von Gerolstein (unter Pinchas Steinberg) sowie Hoffmanns Erzählungen (unter Heinz Wallberg). Gemein ist ihnen, dass es sich fast ausschließlich um Einspielungen aus den 1970er und 80er Jahren handelt – meist WDR-Electrola-Ware, über die man sich durchaus streiten kann, haftet ihr doch eine gewisse Muffigkeit und Biederkeit an. Offenbach in Deutsch verliert meist seinen Witz und seinen gôut. Und weder Anneliese Rothenberger noch Grit van Jüten sind Nachfolgerinnen der großen Hortense Schneider.

Die ältesten und lohnenderen Aufnahmen sind Ba-ta-clan und Les Bavards von 1966 bzw. 1967 aus Strasbourg unter dem Dirigat von Marcel Couraud aus dem Repertoire der Erato – köstlich und spritzig. Michel Plasson zeichnet verantwortlich für originalsprachigen Versionen von Orphée aux Enfers, La Belle Hélène, La Vie parisienne sowie La Périchole. Les Contes d’Hoffmann werden von Sylvain Cambreling, Les Brigands von John Eliot Gardiner und Pomme d’Api, Monsieur Coufleuri sowie Mesdames de la Halle von Manuel Rosenthal verantwortet; letzterer steuert auch sein berühmtes Arrangement Gaîté Parisienne bei.

Die berühmteste Grande-Duchesse auf CD: Regine Crespin auf Sony, leider vergriffen; aber die alte Leibowitz-Aufnahme mit Eugenia Zareska gehört ebenfalls zu meinen Lieblingen (Preiser und als MP3-Doiwnload bei Naxos)/ G. H.

Hinzu gesellen sich Auszüge aus La Fille du tambour-major (Dirigent: Félix Nuvolone) und La Gande-duchesse de Gérolstein (Dirigent : Jean-Pierre Marty). Abgerundet wird die Kollektion durch diverse Operettenarien mit Janes Rhodes (ah, was für ein Charme und welche finesse des Servierens) unter dem einstigen Wunderkind-Dirigenten Roberto Benzi. Als Zugaben sind zudem Auszüge aus Gaîté Parisienne in einem Arrangement für drei Klaviere (Giorgia Tomassi, Carlo Maria Griguoli, Alessandro Stella) sowie die Fables de La Fontaine für Bariton (François Le Roux) und Klavier (Jeff Cohen) inkludiert. Hierbei handelt es sich auch um die neuesten Produktionen (2013 und 1990). Leider liegt die berühmteste Grande-Duchesse der Neuzeit, die mit der Crespin, bei der CBS/Sony, dommage. Und leider wird die Périchole von der humorlosen Teresa Berganza nebst ungeeignetem José Carréras niedergemacht. Da wäre die schöne alte mit Suzanne Lafaye von der EMI netter gewesen. Und über das Vie Parisienne mit der unvergleichlichen Suzy Delair (im Soundtrack eines Films) geht eh´ nichts (Musidisc, vergriffen).

Bloß auf den ersten Blick erwarten den Hörer bei der Warner-Kompilation Dopplungen, unterscheiden sich die deutschen von den französischen Fassungen der Werke doch teilweise ganz frappierend, was durchaus auf des Komponisten eigenem Zutun beruht. Während sich der deutschsprachige Orpheus der Urfassung bedient, liegt seinem französischen Pendant die ungleich umfangreichere Zweitfassung zu Grunde. Bei der Schönen Helena verhält es sich insofern umgekehrt, als hier die deutsche Fassung erweitert wurde. Die französischsprachige Aufnahme leidet zudem an opernartiger Überhöhung, was durch die Mitwirkung von Jessye Norman, die für solch ein Repertoire nicht unbedingt berühmt war, freilich begünstigt wird.

Die Idiomatik überwiegt vornehmlich in den älteren französischen Produktionen, was sich durch die mitwirkenden Sängerinnen und Sänger wie Régine Crespin, Huguette Boulangeot, Mady Masplé, René Terrasson und Michel Sénéchal ausdrückt. Die deutschsprachigen Varianten haben fraglos für manche deutsche Hörer ihren Reiz (sicherlich nicht für Franzosen), begegnet man doch den zwar legendären, aber für Offenbach wenig geeigneten Namen wie Anneliese Rothenberger, Nicolai Gedda, Benno Kusche, Adolf Dallapozza und sogar Theo Lingen (als Hans Styx im Orpheus). In manchem Falle erfreulich ist, dass einige vergriffene Aufnahmen mittels dieser Edition nun wieder greifbar werden, so die älteren Einakter und die solide Fille du Tambour-major mit der idiomatischen Eliane Lublin. Auch Les Brigands profitieren von einer nationalsprachigen Crew mit der bezaubernden Colette Alliot-Lugas, Michel Trempont und dem höhensicheren Tibère Raffali – da sieht man, wie Offenbach mit idiomatischen Stimmen zum Leben erweckt wird, und man bedauert einmal mehr die Politik der EMI, die internationalen Stars in dieses empfindliche Genre gepresst zu haben. Keine gute Idee schon damals.

Zu begrüßen sind die ansprechend gestalteten CD-Hüllen mit dem jeweiligen ursprünglichen Cover. Dafür ist das Beiheft kaum der Rede wert, Libretti sucht man vergebens. Immerhin werden die kompletten Besetzungen, Aufnahmedaten und -orte verzeichnet, was mittlerweile auch nicht mehr unbedingt die Regel ist. Klanglich genügen diese sämtlich in Stereo eingespielten Produktionen auch heutigen Ansprüchen. Daniel Hauser/ Geerd Heinsen