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Ein durch und durch seriöses, allein den Fakten verpflichtetes Buch ist Teresa Hrdlickas Das kaiserliche Sommertheater in Bad Ischl mit dem Untertitel Operette und Oper unter Kaiser Franz Joseph I., auch wenn Kaiser und Ischl in manchem Leser die Assoziation Kaiser und Katharina Schratt wach rufen mag. Es ist zugleich ein Buch, dass sich auch Beschränkungen anderer Art auferlegt, denn nicht nur die Musik, sondern auch das Sprechtheater, vertreten allerdings vorwiegend durch die Posse, diente der Unterhaltung der Kurgäste. Heute ist in Ischl die Operette zu Hause mit einem alljährlichen Festival, das für 2023 bereits Madame Pompadour, Der Vogelhändler und Schön ist die Welt angekündigt hat und damit der Operette und nur ihr treu blieb, während das andere den Österreichern zu verdankende Operettenfestival in Triest neben einer Principessa della Czarda auch ein Phantom der Oper anbietet.
Wie der Untertitel kundtut, endet das Buch mit dem Tod des Kaisers 1916 mitten im Ersten Weltkrieg, nachdem 1914 die Ermordung des Kronprinzen und seiner Frau nur eine dreitätige Unterbrechung der Lustbarkeiten verursacht hatte. Davor hatte der Kaiser, beginnend mit 1849, 66 Mal Ischl und die dortigen Aufführungen besucht. Im Jahre 1945 dann, das mag sie nicht unerwähnt lassen, war der Großvater der Verfasserin der älteste Kurgast in Ischl.
Das Buch ist nach den Direktoren des Festivals in neun Kapitel gegliedert, gewährt einen interessanten Einblick in die Entwicklung des Theaterwesens generell, wobei geschildert wird, wie in den ersten Saisons die Intendanten noch mit ihrem Vermögen für den Erfolg der jeweiligen Spielzeit garantieren und eine Kaution hinterlegen mussten, dass häufig die Verbindung zu einem Wiener Theater bestand, dessen Produktionen im Sommer nach Ischl wanderten und dass bereits 1823 eine Wandertruppe für die Unterhaltung der Sommergäste gesorgt hatte.
Die Quellen für das informationsreiche Buch sind Kritiken der damaligen Presseorgane, Theaterzettel, Programmhefte, Auszüge aus Biographien und vieles anderes mehr. Ein Plakat zeigt in riesigen Lettern die Namen von Kaiser und Kaiserin, die erwartet werden, sehr viel kleiner den Titel Ernani und winzig klein den Namen des Komponisten Josef Verdy (!). Beeindruckend ist nicht nur die Zahl der Künstler, die im Verlauf der Jahrzehnte in Ischl auftraten, sondern auch die Tatsache, dass die Bevölkerung von Ischl sich ein im Stil eines griechischen Tempels gehaltenes Theater mit vier Rängen und 600 Plätzen leistete. Oft noch prominenter als die Künstler waren die Sommergäste, zu denen 1848 Meyerbeer gehörte, Schnitzler mit seiner skandalbereiten Geliebten Adele Sandrock, Brahms, Wolf, Nikisch und viele, viele andere, darunter natürlich auch die Komponisten, die jeweils aufgeführt wurden und zum Teil ihre Werke selbst dirigierten.
In chronologischer Reihenfolge marschieren die Intendanten auf: Während der Direktion Kosky muss dieser auch mal den Kassierer oder Souffleur machen, der Direktion Jenke ist die Gasbeleuchtung zu verdanken, damals dominiert Offenbach die Operettenbühne, nach dem Börsenkrach von 1873 gibt Jenke auf. Während der Direktion Müller weilen Brahms und Clara Schumann in Ischl, wird Boccaccio zum ersten Mal aufgeführt. Die Direktion Dorn verbindet Linz und Ischl miteinander, führt die elektrische Beleuchtung ein und wagt sich trotz des verheerenden Brandes mit Hunderten von Toten in der Wiener Staatsoper an den anspruchsvollen Hoffmann. Zweimal leitet Ignaz Wild das Sommertheater von Ischl. Er ist Theateragent und kann sich über den Erfolg von Eine Nacht in Venedig, Gasparone und Zigeunerbaron freuen, der sogar vor Wien in Ischl gezeigt wird. Als eine Erzherzogin heiratet, spielt Bruckner die Orgel, die Verfasserin ist so diskret wie die damalige Presse, was „die teure Freundin Kaiser Franz Josephs“ angeht, und der Leser freut sich darüber, dass offensichtlich eine tiefe Freundschaft zwischen den Angehörigen beider Geschlechter möglich war, die sogar von der Gattin Kaiserin Elisabeth gefördert wurde. Interessiert nimmt er zur Kenntnis, dass die Stimmung des Orchesters einen halben Ton höher war als die in Wien und so manchen Sänger in Verlegenheit brachte und dass die Solisten, soweit nicht auf der Bühne, aus den Kulissen heraus den Chor mit seinen sechzehn Mitgliedern unterstützen mussten.
Die vielen Kritiken aus der jeweils abgehandelten Zeit sind auch insofern wertvoll für den Historiker, als sie Auskunft über die damalige Sicht auf künstlerische Leistungen geben. „Die Regie des Herrn Friese war nicht immer eine glückliche zu nennen“, klingt allerdings gar nicht so altertümlich. Bei Sängern genügt oft ein „reizend“, „gefällig“ oder „vorzüglich“ ohne nähere Begutachtung.
Auch vor 125 Jahren gab es schon Hochwasser und eine Benefizveranstaltung für die Opfer, und was heute Kaufmann und Netrebko sind, waren damals Mizzi Günther und Louis Treumann, wobei auffällt, dass ungewöhnlich viele Sängerinnen und nicht nur die Soubretten putzige Namen trugen.
Nach der Goldenen Ära mit Johann Strauß kommt auch in Ischl die Silberne mit Lehar, Kálmán, Fall und Oscar Straus, kommen die Direktionen Door und Door-Müller sowie ein Skandal, der Adele Sandrock als Marguerite heißt, während eine bereits angesetzte Carmen mit ihr gerade noch verhindert werden kann. Lilli Lehmann als Traviata ist da willkommener.
Ischl wird offiziell „Bad“, Die lustige Witwe erobert auch das Kurbad, aber noch erfolgreicher ist hier Straus`Ein Walzertraum. Unter der Direktion Erich Müller genießt man in Ischl ein Wagner-Konzert, Maria Jeritza ist Dauergast und dann steht zum Stirnrunzeln animierend über eine Gruppe: „1937 verlieren sich die Spuren…..“ , wird aber festgestellt, dass ein großer Teil des Publikums aus Angehörigen des jüdischen Großbürgertums bestand . Lange vor dessen Vertreibung verfasst Kaiser Franz Joseph noch in Ischl das Manifest „An meine Völker“, und der Krieg und als seine Folge die Auflösung des Vielvölkerstaats sind nicht mehr fern. Aber bereits 1917 hat man kein Geld und 1918 gibt es nur Sprechtheater. Im „Ausklang“ wird er Leser noch über das Schicksal der in Ischl vertretenen Komponisten unterrichtet.
Das ist so kenntnisreich, so sachlich, dabei so interessant geschrieben, dass man sich von der Verfasserin noch eine Fortsetzung der Geschichte der Operette in Ischl bis zum heutigen Tag wünscht.
Im Anhang finden sich: Chronik der Direktionen, Besetzungen erster Rollen in Operette und Oper, Chronik der Operetten-Erstaufführungen, Bildnachweis und Quellen- und Literaturnachweis (Teresa Hrdlicka: Das kaiserliche Sommertheater in Bad Ischl – Operette und Oper unter Kaiser Franz Joseph I; 186 Seiten LIT Verlag; Wien 2022; ISBN 978 3 643 51122 5). Ingrid Wanja