Exklusiv und elitär war gestern

 

Ja, ich habe gelacht, sehr sogar. Und das gleich auf der ersten Seite des Buchs Wagner-Vereine und Wagnerianer heute von Elfi Vornberg (Königshausen & Neumann, 297 Seiten). Denn da steht: „Der Richard-Wagner-Verband International e.V. steckt in der Krise. Der einstige Exportschlager mit dem Gütesiegel ‚Made in Bayreuth‘ verbucht Rekordverluste bei den Mitgliederzahlen: Engagierten sich im Jahr 2003 noch 37.000 Mitglieder weltweit in einem Wagner-Verein, waren es Ende 2015 nur noch 21.830.“ Das entspricht einem Rückgang von 41 Prozent innerhalb von zwölf Jahren. Das wirft Fragen auf: „Hat das Werk Richard Wagners an Bedeutung verloren? Strahlen Entwicklungen am Grünen Hügel – wie Wolfgang Wagners Tod, die Ernennung der neuen Festspielleiterin Katharina Wagner, Regie-Skandale mit Frank Castorf und Jonathan Meese oder die neu geregelte Kartenvergabe durch Eingreifen des Bundesrechnungshofes – auf den Verein ab? Oder steckt das Vereinswesen als solches mit Überalterungstendenzen und Imageproblemen im digitalen Zeitalter in einer Krise?“

Die erste Frage beantwortet die Autorin gleich negativ, denn die Flut von Wagner-Aufführungen und Neuerscheinungen auf dem Buchmarkt zeugt davon, dass der „Mythos Wagner“ nach wie vor gut funktioniert und nichts von seiner Attraktivität und Aktualität verloren hat. Weswegen Elfi Vornberg auf 297 Seiten den anderen Fragen nachgeht. Sie hat insgesamt 522 Vereinsmitglieder für diese Studie befragt aus drei verschiedenen Wagner-Vereinen in drei Ländern: in Deutschland, den USA und in Japan. Was sie dabei herausgefunden hat, ist frappierend. Und ich muss gestehen, dass mein inneres Gelächter fast durchs ganze Buch weiterging.  (Und das sage ich als jemand, der Wagners Musik durchaus und wiederholt verfallen kann.)

„Wagner-Vereine und Wagnerianer heute“ im Verlag Königshausen & Neumann

So stellt sich heraus, dass die Japaner – die im Ländervergleich über ihren Wagner-Verband am häufigsten an Bayreuth-Karten gekommen sind – sich „auf das Ereignis“ intensiver als alle anderen vorbereiten: „Sie widmen sich vermehrt tiefgehenden Analysen der Kunst Wagners und investieren mit dem Studium von Partituren und wissenschaftlichen Aufsätzen viel Zeit in ihr Hobby. Sie dringen sogar durch die detaillierte Beschäftigung mit deutschen Philosophen tiefer in die Materie ein und erarbeiten sich akribisch das Thema Wagner.“ Laut Vornberg unterscheidet das die japanischen Wagnerianer von den deutschen. Denn für die ist die praktizierte Fan-Liebe vor allem eine „soziale Demonstration“, die einen „Prestigegewinn und soziale Abgrenzungsmechanismen“ bietet. Für Mitglieder der deutschen Wagner-Vereine ist der Bayreuth-Besuch zu 30 Prozent ein gesellschaftliches Ereignis, bei den Japanern sind es nur 15 Prozent: „Das ‚Erlebnis Bayreuth‘ wird als Akt der Selbstinszenierung wahrgenommen, der gleichzeitig als Statusgewinn und damit als Schließungskriterium nach außen hin dient.“ Das gilt auch für die USA, wo ebenfalls ein Prestige- und Statusgewinn angestrebt wird „durch das als exklusiv und elitär geltende Hobby“.

Im Vergleich sind die Amerikaner „Wagner-Pilger im großen Stil“ und reisen als regelmäßige „Wagner-Kosmopoliten“ am häufigsten. Ziel ihrer Reisen ist meist Europa, was erstaunlich ist, weil viele Befragte angaben, die hiesigen Tendenzen des modernen Regietheaters als „Eurotrash“ rundum abzulehnen. Amerikanische Wagnerianer wollen, laut Umfrage, am liebsten „historische Inszenierungen mit historischen Kostümen und Bühnenbild“. (Ach ja.)

In Deutschland wiederum stellt sich heraus, dass die Wagnerianer aus den Wagner-Vereinen nicht als solche bezeichnet werden möchten. In den USA lehnten die meisten den Begriff „Wagnerianer“ aus „Gründen der Bescheidenheit“ ab („man fühlt sich nicht würdig, belesen oder kenntnisreich genug, diesen ‚Titel‘ zu tragen“), während in Deutschland der Begriff zu viel „Nähe zum Fanatismus“ ausstrahlt. Die deutschen Befragten sagten auch, dass die „negativen Klischees über den Wagnerianer“ sie abschrecken sich selbst so zu bezeichnen, ebenso die „nationalsozialistisch behaftete Vergangenheit der Familie Wagner“.

Im Schlusskapitel berichtet Vornberg, dass das „überwiegend konservativ-traditionell ausgerichtete Klientel“ des Internationalen Richard Wagner Verbands durch die allgemeine Öffnung der Festspiele einen „herben Einschnitt im Erleben der Bayreuther Festspiele“ durchgemacht hat: „Denn ihr begehrtes Objekt verliert damit an Wert und das knappe Kulturgut an Exklusivität.“

Jahrelang lebte der Mythos Bayreuth vom Kampf um die Karten. Inzwischen hat sich da eine andere „Normalität“ eingestellt, so dass für viele Vereinsmitglieder das „Fluidum Bayreuth“ nicht mehr stimmt. Und für den Personenkult, den viele Mitglieder betreiben, ist es auch vorbei mit dem „Erbcharisma“ der „Königsfamilie am Grünen Hügel“.

All die Statements und Auswertungen zu lesen ist faszinierend. Ich habe gleich fünf Bücher als Weihnachtsgeschenke für meine diversen Wagnerianer-Freunde bestellt. Ob sie über die Statistiken und Schlussfolgerungen von Elfi Vornberg auch so lachen werden wie ich, weiß ich nicht. Aber ein bisschen Staub aufwirbeln tut im Fall Wagner immer gut – und bei Wagnerianern, die sich nicht so nennen wollen, es aber bis in die Haarwurzeln sind, tut es doppelt gut (Foto oben: Richard Wagner ist noch immer allgegenwärtig – als Büste im Park – Foto: Winter). Kevin Clarke