Margarethe Siems

 

 Das Richard-Strauss-Jahr 2014 hatte den Blick auch auf die frühe Rezeptionsgeschichte seiner Opern gelenkt. Wer waren jene Sänger, die seine großen Partien kreierten? Schnell stößt man auf die Sopranistin Margarethe Siems, die nicht weniger als drei der bedeutendsten Strauss-Opern mit aus der Taufe hob. Speziell die Gegensätzlichkeit der stimmlichen Anforderungen einer Chrysothemis, Marschallin und Zerbinetta machen neugierig. Hatte die Siems in Breslau ihre ursprüngliche Heimat und im niederschlesischen Bad Landeck ein selbst gewähltes Refugium nach ihrem Rückzug von der Bühne, so war die Stadt Dresden doch eigentlich der für sie schicksalhafteste Ort.

Margarethe Siems als Marschallin

Margarethe Siems erlangte als erste Marschallin Weltruhm

Bereits als gefeierte Sängerin kam sie aus Prag und seinem Deutschen Theater 1908 an die damalige Dresdener Hofoper. Als Ersatz für die gerade nach Wien entschwundene Irene Abendroth (1872-1932) sollte sie bevorzugt das verwaiste Koloraturfach übernehmen, wurde aber aufgrund ihrer phänomenalen Technik auch in dramatischen Partien eingesetzt. So kreierte sie im Jahr 1909 die Chrysothemis in Elektra, und schließlich 1911 die Marschallin im Rosenkavalier, mit der sie sich in die Annalen der Operngeschichte einschrieb. Ihre Kreation war und blieb Maßstab für spätere Interpretinnen der Rolle. Für die Siems selbst Segen und ein wenig Fluch zugleich, wollte nun doch ganz Europa ihre authentische Marschallin hören, der Siegeszug dieser Oper, der bis in die Gegenwart anhält, brachte sie in alle musikalischen Zentren der alten Welt mit ihren großen Opernhäusern, die alte russische Hauptstadt St. Petersburg eingeschlossen. Ihre dritte Uraufführung einer Oper von Richard Strauss, die extrem gelegene Zerbinetta in der Erstfassung der Ariadne auf Naxos, fand allerdings am Stuttgarter Hoftheater statt. Heute wäre wohl keine Sängerin in der Lage, diese drei Rollen im Repertoire zu haben.

Margarete Siems als Philine/"Mignon"

Margarethe Siems als Philine/“Mignon“

Die Palette der in Dresden gesungenen Rollen der Siems lässt staunen. Neben der Königin der Nacht steht Aida, neben der Königin in den Hugenotten Venus und Elisabeth im Tannhäuser. Insgesamt 36 in Dresden gesungene Rollen sind im Archiv der Sächsischen Staatsoper aufgelistet. Für diese Auskünfte noch einmal Dank an die frühere Archivleiterin Brigitte Euler. Die Siems ließ ihre Karriere langsam ausklingen. Bis 1920 war sie Ensemblemitglied in Dresden, gastierte aber noch bis in die späten 1920er Jahre an verschiedenen Häusern, auch ihr offizieller Abschied 1925 als Marschallin in Breslau war keineswegs ihr letzter Auftritt. Ab 1926 unterrichtete sie in Dresden in ihrer privaten Meisterschule für Gesang. Die Sommer wurden im Bad Landecker Landhaus verbracht, auch dort unterrichtete sie. 1937 verlagerte sich ihr Lebensmittelpunkt wieder nach Schlesien, bis sie 1946 aus dem dann polnischen Bad Landeck ausgewiesen wurde, und nur mit der nötigsten Habe zurück nach Dresden ging.

Die letzte elegante Adresse in der heutigen Goethealle 61 in Dresden

Die letzte Adresse der Sängerin in der heutigen Goetheallee 61 in Dresden – Foto: Sommeregger

Das Dresden ihrer einstigen Triumphe existierte aber nicht mehr, sie fand Zuflucht in dem weitgehend

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unversehrten Villenvorort Blasewitz, der schon in ihren früheren Dresdener Jahren ihr bevorzugter Wohnort gewesen ist. War es vor dem Krieg die Emser Allee 12, so wurde die Goetheallee 61 (die Straße war nach dem Krieg umbenannt worden) ihre letzte Wohnung. Hier lebte sie mit ihrer Adoptivtochter Inge und ihrem Hausfaktotum Thilde Mühlmann. In diese letzten Jahre fällt ihre Lehrtätigkeit an der Akademie für Musik und Theater in der Mendelssohnallee 34, beinahe fußläufig von ihrer Wohnung. Heute beherbergt die prunkvolle Villa das Musik-Gymnasium „Carl-Maria-von-Weber“. Als lebensbejahender Mensch überwand Margarethe Siems mit erstaunlicher Souveränität alle materiellen Verluste, die sie durch ihre Vertreibung aus Schlesien erlitten hatte. Geholfen dabei haben mag wohl die intensive Liebesbeziehung mit der Kunsthistorikerin Gerda Weinholz, die praktisch um die Ecke wohnte. Diese Beziehung ist in anrührenden Briefen dokumentiert, ergreifende Dokumente einer späten Liebe.

1950 verliert die Siems ihre Adoptivtochter im Alter von nur 38 Jahren, als 18 Monate danach auch noch ihre praktisch zur Familie gehörige Haushälterin Thilde Mühlmann stirbt, verlässt Margarethe Siems der Lebensmut. 72-jährig stirbt sie im Krankenhaus Friedrichstadt. Begraben ist sie auf dem Johannis-Friedhof in Tolkewitz, nicht weit von ihrer letzten Wohnung. Die Gruft, in der auch die Eltern von Margarethe Siems beigesetzt sind, wird von der Stadt Dresden erhalten und gepflegt. Auch den Mimen flicht die Nachwelt zuweilen Kränze!

1-Siems mit zwei Hunden

Die Tierliebhaberin Margarethe Siems mit ihren zwei Hunden

Geboren wurde die Sängerin am 30. Dezember 1879 im damaligen Breslau, heute Wroclaw. Das einzige Kind eines wohlhabenden Baumeisters studierte zunächst Klavier und Violine an der Musikhochschule ihrer Heimatstadt, ehe sie erst mit zwanzig Jahren ihre Gesangsausbildung begann. Den Spuren dieser faszinierenden Frau nachzugehen, führte mich mein Weg nach Wroclaw, trotz aller Kriegszerstörung immer noch – oder wieder – eine eindrucksvolle Stadt. Die Altstadt ist in weiten Teilen wieder hergestellt und erweist sich als ein staunenswertes Beispiel polnischer Restaurierungskunst. Das Anwesen des Baumeisters Siems lag in der zentrumsnahen Odervorstadt, Kohlenstraße 7, heute Stanislawa Dubois. Der Name scheint ein Hinweis auf eine weniger feine Gegend, doch weit gefehlt: Der dort noch reichlich vorhandene Altbaubestand ist durchwegs repräsentativer Art, Gründerzeit und Jugendstil sind gleichermaßen vertreten. Hier war der Wohlstand zu Hause. Aber die Freude über das Auffinden des Ortes weicht der Enttäuschung: just das Haus Nr. 7 scheint den Krieg nicht überstanden zu haben. An seiner Stelle entsteht aktuell ein etwas unsensibel zwischen die renovierten Altbauten gequetschtes modernes Appartementhaus.

Sehr historisch in der äußeren Erscheinung: Margarethe Siems als Traviata

Sehr historisch in der äußeren Erscheinung: Margarethe Siems als Violetta

Mehr Glück war den anderen für Margarethe Siems bedeutenden Häusern der Stadt beschieden: sowohl das Opernhaus, als auch die Musik-Akademie sind erhalten, ersteres liebevoll restauriert, letztere bedürfte dringend einer Auffrischung. Nach dem Ende ihrer Bühnenlaufbahn unterrichtete die Siems anfangs in Berlin und Dresden Gesang, ehe sie 1937 einen Ruf als Pädagogin an ihre einstige Lehrstätte erhielt, bis 1940 übte sie dort ihre Tätigkeit aus. Zur Bedingung hatte sie gemacht, nicht der NSDAP beitreten zu müssen und ihren Wohnsitz in Bad Landeck nehmen zu können, wo sie ein Landhaus erworben hatte. Dieses zu finden war das nächste Ziel meiner Reise. Bad Landeck, heute Ladek Zdroj, ist ein wenig aus der Zeit gefallen. Das Radium-Bad, das im 18. Und 19. Jahrhundert selbst gekrönte Häupter zu seinen Gästen zählen durfte, ist heute nur noch ein Abklatsch einstiger Eleganz. Der Kurbetrieb findet nach wie vor statt, aber von einem eleganten, zahlungskräftigen Publikum kann der Ort nur noch träumen.

Das Landhaus der Sängerin im Kurtort Bad Landeck, heute Ladek Zdroj.

Das Landhaus der Sängerin im schlesischen Kurtort Bad Landeck, heute Ladek Zdroj – Fotos: Sommeregger

Das Städtchen, am Fuße der niederschlesischen Glatzer Berge gelegen, hat eine höchst reizvolle Umgebung. Ein guter Ort, um sich zur Ruhe zu setzen, muss es in den 30-er Jahren des letzten Jahrhunderts gewesen sein. Niemand konnte ahnen, welche Brüche die nächsten Jahrzehnte bringen würden. Mit Hilfe einer polnischen Website und einem verwaschenen Foto konnte ich das „Landhaus Siems“ schließlich finden, und eindeutig identifizieren. Der Zustand des Hauses ist nicht besonders gut, Dach und Fenster des einstmals stattlichen Anwesens sind in solider Verfassung, die teilweise stuckierte Fassade bedürfte dringend einer Sanierung. Die große, dem Haus einst vorgelagerte Terrasse ist verschwunden, die hölzernen Geländer der kleineren Balkone durch Metallgitter ersetzt. Auf den künftigen Besitzer warten erhebliche Investitionen, das Haus steht nämlich zum Verkauf. Nicht ohne Rührung steht man vor dem Gebäude, in dem die Siems im Sommer unterrichtete, ihre Adoptivtochter groß zog, ihre Freundinnen beherbergte – sie war ihrem eigenen Geschlecht zugeneigt. Tragisch das Ende: Im November 1946 musste sie unter Zurücklassung fast aller Habe, darunter Widmungspartituren von Richard Strauss, Landeck für immer verlassen. sein. Peter Sommeregger

Das Foto oben/youtube zeigt Margarethe Siems als Butterfly. Die anderen historischen Fotos stammen – soweit nicht anders gekennzeichnet – aus der Porträtsammlung Manskopf der Bibliothek der Goethe-Universität Frankfurt am Main.

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